Meine Lieben,
ich hab mich schon sehr lange auf dieses großartige Konzert gefreut. Natürlich bin ich rechtzeitig losgefahren. Schon eine knappe halbe Stunde vor Beginn saß ich auf meinem Platz. Die Reihen füllten sich nach und nach. Nur die vordersten Sitzplätze, die blieben frei bis kurz vor Beginn. Schließlich näherten sich die ersten Ehrengäste. Erhobenen Hauptes schritten sie vorüber, grüßten ab und an huldvoll oder auch etwas herzlicher in die Menge. Bei manchem hatte ich den Eindruck der er – respektive sie – betont langsam Platz nehmen würde, damit alle anderen auch sehen, wer denn da in der ersten Reihe sitzt. Und nicht wenige haben sich geradezu die Hälse verrenkt, um das auch mitzubekommen. Die Musik schien sie dann weniger zu interessieren. Aber als der Schlussapplaus verklungen war, gingen manche von den hinteren Plätzen geradezu auf „Promi-Fang“. Man wollte unbedingt noch möglichst bedeutende Hände schütteln, damit nur ja alle merken, dass man selber auch dabei war. Ich bin dann ziemlich schnell nachhause gefahren, um mir die Freude an der wunderbaren Musik ein wenig in den Alltag hinüber zu retten.
Einen wohltuenden Kontrast zu diesem Konzerterlebnis bildete dann Anfang August eine Pressemeldung aus Rom. Papst Franziskus hatte zu einem großen Essen eingeladen. Und – typisch Franziskus – er lud weder die Kurie noch das diplomatische Korps dazu ein. Er lud syrische Flüchtlingsfamilien ein, Christen wie Muslime. Sie bekamen jene Ehrenplätze, für die manch anderer sonst was geben würde. Das hat mich sehr beeindruckt. Aber es hat mich auch nachdenklich gemacht, im Blick auf mich selber, auf uns als Pfarrgemeinde und auf jene, die auch in unserer Gesellschaft eher die hinteren Plätze einnehmen.
WO IST MEIN PLATZ? – Kurz nach der Priesterweihe war ich oft fast peinlich berührt, wenn ich bei runden Geburtstagen zu Besuch gekommen bin. Es ist doch eigentlich eine sehr persönliche Familienfeier. Dann platze ich da hinein und sofort wird gerückt, ich sitz neben den Jubilaren, werde rundherum bedient. Das muss doch nicht sein. Aber man gewöhnt sich dann doch daran und schließlich gefällt es einem, wenn man so hofiert wird. Ist das mein Platz, wenn ich in Jesu Namen Menschen begegnen will? Und wann begegne ich überhaupt noch ganz normalen Menschen fern aller Ehrenplätze, fern von Titeln und Funktionen? Jesu Gleichnis stellt Dich und mich in Frage: Wo ist wirklich mein Platz als Christ in dieser Welt? – Das lässt mich dann noch weiterfragen:
WO IST UNSER PLATZ ALS PFARRGEMEINDE? Wir sind hier eine wirklich lebendige Pfarrei! Wir gehen gemeinsam durchs Leben. Wir feiern die Feste des Jahreskreises miteinander. Wir pflegen das Brauchtum und versuchen es auch im Heute mit Leben zu erfüllen. Aber wir bleiben mit alldem auch meist „unter uns“? Wir sitzen – tatsächlich und im übertragenen Sinne – auf den Plätzen, auf denen wir immer schon saßen. Wir jammern ein wenig, wenn Plätze leer bleiben. Aber sind wir auch einladend für jene, die uns noch nicht kennen? Gut, wir besuchen sie als Neuzugezogene und bieten allen Kindergartenplätze an. Aber haben wir ihnen nicht im Sinne Jesu noch mehr zu bieten? Bieten wir ihnen wirklich ernsthaft Hilfe, Geborgenheit, ein Stück Heimat, einen guten Platz an? Wieviel Energie verwenden wir auf dieses Tun, verglichen mit dem Aufwand, den wir mit unseren Festen, Sitzungen und Ausschüssen betreiben? Und hier muss ich dann noch einmal weiterfragen:
WO DÜRFEN BEI UNS JENE AUFRÜCKEN, DIE SONST NUR DIE LETZEN PLÄTZE HABEN? – Erst einmal muss ich da nachdenken. Wer sitzt denn bei uns auf den sprichwörtlich „letzten Plätzen“? Weiß ich wirklich, wo Armut, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Krankheiten des Körpers oder der Seele Menschen bei uns zu Absteigern, zu Außenseitern, zu Letzten gemacht haben? Wie viele kenne ich da wirklich? Welche Rolle spielen diese Menschen hier in unserer Pfarrgemeinde? Welchen Platz haben sie für uns und unter uns?
Meine Lieben,
es sind viel mehr Fragen als Antworten, die ich heute aus diesem Gottesdienst mitnehme. Aber es sind heilsame Fragen. Denn diese Fragen helfen mir ganz neu und ganz tief das Gebet zu entdecken. Im Gebet kann Gott meinen Blick korrigieren. Im Gebet kann ich zum Aussteiger werden, kann ich aussteigen aus diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten, kann ich mich selbst finden und vielleicht auch eine Antwort auf die vielen Fragen. Der Jugendseelsorger Guido Erbrich, mit dem ich damals die Medienausbildung gemacht habe, hat so ein Gebet mit jungen Menschen einmal aufgeschrieben. Es heißt:
Lieber Gott! Ich habe lange nicht mehr gebetet, denn ich hielt es für Aberglauben oder Kinderkram. Ich weiß auch nicht, warum ich es jetzt gerade tue, und auch nicht, ob es überhaupt richtig ist, dass ich bete und wie ich bete. Ich habe so viel auf dem Herzen und möchte es niemanden sagen außer dir. Du kennst mich vielleicht besser als ich mich selbst. Oft denke ich, dass keiner mich richtig versteht. Und manchmal bin ich mir selbst ein Rätsel. Lieber Gott, kannst du mir nicht einen Wege zeigen? Einen Weg, der mich zu dir und zu mir selber führt. Kannst du mir nicht immer wieder den Mund öffnen, damit ich mich getraue, mit dir zu sprechen, ehrlich und frei? Kannst du mir nicht Mut machen, so zu sein, wie ich wirklich sein möchte? Wer, wenn nicht du, sollte mich verstehen?
Amen.
(Text: Witti/Bild: Limmer)