Meine Lieben,
„Was will denn der schon? Der hat uns hier gar nichts zu sagen! Bei uns ist kein Platz für solche neue Ideen…“ – Solche Worte voller Empörung und Zorn können schneller kommen, als einem lieb ist. Wie rasch geht es doch, dass Menschen sich provoziert fühlen, wenn jemand mit neuen Vorstellungen daher kommt, oder gewohntes in Frage stellt. Da wird dann aus persönlicher Gekränktheit, aus dem inneren Gefühl heraus, weit über die Sache hinaus auch als Person angegriffen zu sein, oft sehr schnell die sachliche Ebene überstürzt verlassen. Laute, emotionale Worte folgen und der Weg zu handfesten Reibereien scheint oft nicht weit zu sein.
Die Ursachen für solch heftige und mitunter gewaltsame Reaktionen auf Ungewohntes, Fremdes oder Neues liegen dabei immer in einer tiefen Verunsicherung. Ein Mensch, der in sich und seinen Ansichten festgefahren ist, der nicht bereit ist, sich auch andere und anderes einzulassen, kann häufig gar nicht anders reagieren. Denn, wenn etwas auftaucht, das im eigenen Lebensentwurf so nicht vorkommt und wenn man dann nicht bereit ist, sich damit auch wirklich auseinanderzusetzen, dann muss das „Andere“ geradezu als Bedrohung empfunden werden. Dann ist Aggression oft das einzige Mittel, um die eigene tiefe Verunsicherung und Angst zu überspielen.
Dieses Reaktionsschema ist wohl so alt, wie die Menschheit selbst. Selbst Jesus musste schon früh diese Erfahrung machen. Noch ganz am Beginn seiner Verkündigung eines barmherzigen und menschenfreundlichen Gottes kam es ausgerechnet in seiner Heimatstadt Nazareth beinahe zum Eklat. Das Evangelium dieses Sonntags berichtet davon, wie ihn einige aufgebrachte Leute am liebsten gesteinigt hätten.
Gewaltsam wollte man ihn weghaben, obwohl der doch nur einen zutiefst menschenfreundlichen Gott verkündet hat. Aber dieser Gott sagt eben auch, dass die, die ihm nachfolgen, ebenso menschenfreundlich sein sollen. Jesu Modell ist anders, als es die eingefahrenen Lebensmodelle damals, wie heute sind. Er lebt Nächstenliebe, Toleranz, Offenheit, Menschlichkeit. Immer wieder hat das die Mächtigen im Laufe der Geschichte provoziert. Immer wieder wurden Christen deshalb verfolgt, bis hinein in unsere Tage. Dass das aber 2016 auch in Deutschland wieder der Fall sein könnte, hätte ich niemals geglaubt. Ich wurde eines Besseren belehrt…
Tatjana Fensterling, die selbsternannte „Frontfrau“ der sogenannten PEGIDA, offenbarte vor knapp zwei Woche in Leipzig das wahre Gesicht dieser Gruppierung. Sie sagte in aller Öffentlichkeit: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“
Das ist ein Aufruf zur offenen Gewalt. Wenn diese Hetzer ihr bisheriges Schema beibehalten, werden die Angriffe Montag für Montag noch schlimmer werden. Wie weit dann der aufgehetzte – dort meist religionslose – Mob der Straße gehen wird, wage ich mir nicht vorzustellen…
Meine Lieben,
es geht uns Christen heute offenbar so, wie einst schon Jesus. Dort, wo wir Christen versuchen, die Menschenfreundlichkeit Gottes zu leben, werden wir neuerdings auch in unserem Lande hier offen bedroht. Wie sollen wir damit umgehen? Sollen wir uns duckmäuserisch in unseren Kirchen einschließen und auf die böse Welt da draußen schimpfen? Oder haben wir den Mut, auf Jesus zu schauen?
Mich beeindruckt seine Reaktion. Er wusste wohl, dass er in jenem Moment mit Worten nichts mehr ausrichten kann. Er ließ sich aber auch nicht hinreißen, in die fatale Spirale von lauten Worten, Aggressionen und möglicherweise sogar Gewalt einzusteigen. Aufrechten Hauptes ging er einfach weg. Er lief aber nicht davon. Vielmehr distanzierte er sich klar, öffnete aber auch durch den gewonnenen Abstand einen Raum, in dem vielleicht neuer Dialog möglich werden kann, wenn sich die erhitzten Gemüter ein wenig abgekühlt haben. Vor allem aber lebte er seinen Traum von Gottes Menschlichkeit offen und öffentlich weiter, ohne Angst vor jenen zu haben, die Menschlichkeit offenbar schon als Bedrohung empfinden.
Wäre das nicht oft auch ein Modell für unser Zusammenleben heute, egal, ob in der Politik, in der Kirche, im Beruf, in der Nachbarschaft oder in der Familie? Ich denke, es wäre einen Versuch wert, gerade auch heute!
Amen.
(Text/Foto: Witti)