Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis 2015 – Lesejahr B – Pfr. Michael Witti
die Jünger Jesu stritten, wer von ihnen denn der Größte sei. Da rief sie Jesus zu sich und sagte: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Das allein sind schon starke Worte, die ein ganzes Weltbild auf den Kopf stellen können. Aber Jesus setzte noch eine drauf: Er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf, wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“
Als mir in den letzten Tagen bewusst geworden ist, dass ich diese Worte Jesu heute hier im Gottesdienst verkünden muss, sind mir tausend Gedanken durch den Kopf gegangen. Es tauchten wieder und wieder Bilder vor meinem inneren Auge auf, die mich sprachlos machten, die mich ernsthaft fragen ließen, was ich den Menschen angesichts dieser Worte Jesu heute predigen soll.
„Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf…“ – Ich sehe wieder und wieder die Bilder von toten Flüchtlingskindern, die an den Strand gespült wurden; Bilder die um die Welt gegangen sind und die trotzdem auch nicht ansatzhaft das brutale Leid erahnen lassen, das dahinter steht.
Ich sehe vor meinem inneren Auge aber auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die hier nun bei uns Aufnahme gefunden haben. Wie wenig sie bei ihrer Einreise über Ungarn in Europa willkommen waren, sehen derzeit vor allem unsere Zahnärzte. Sie versuchen zu heilen, was Grenzer mit Schlägen an Kindern und Jugendlichen zu brechen versuchten.
Ich sehe aber auch „unsere“ Jugendlichen aus der Kolpingfamilie. Sie haben die Gleichaltrigen eingeladen, haben mit ihnen Spiele gemacht, zu denen man keine großen Worte braucht. Ich sah die jungen Leute gemeinsam herzlich lachen. Und doch weiß ich, wie unsichere die Zukunft der Geflohenen ist und dass Unzählige sich nach so einem befreienden Lachen noch vergeblich sehnen.
„Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf…“ – Ich sehe aber genauso die hasserfüllten und menschenverachtenden Parolen, die in diesen Tagen Facebook & Co geradezu überschwemmen. Ich sehe vermeintlich „brave“ Bürger, die ich zum Teil sogar persönlich kenne, die unsägliche rechtsradikale Hetzparolen per Mausklick verbreiten und sich dabei– oft genug am äußersten Rande der Legalität – offenbar auch noch mächtig stark vorkommen. In die Augen eines jener Menschen, jener Männer, Frauen und Kinder habe sie nie geschaut, in die Geschichtsbücher, aus denen wir Menschen lernen sollten wohl ebenso wenig.
Meine Lieben,
„Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf…“ – Mir fehlen heute fast die Worte, wenn ich über Jesu Evangelium sprechen soll. Die Bilder, die ich innerlich vor mir sehe, sind so übermächtig, dass sie sich kaum in Worte fassen lassen. Mir kommt lediglich auch noch in den Sinn, was ich damals, am Rande jenes Spieleabends mit den minderjährigen Flüchtlingen zu unserer Kolpingvorsitzenden gesagt habe, als wir den jungen Leute zugeschaut haben, die trotz verschiedenster Herkunft herzlich miteinander lachen konnten:
„So muss sich der liebe Gott diese Welt einst gedacht haben, als er uns Menschen erschaffen hat…“
Amen.
(Foto: Witti)