Meine Lieben,
unüberhörbar hat hier bei uns und überall in der Welt das Neue Jahr begonnen. Silvesterraketen, Böller, Kracher und darüber erhabener Glockenklang. Mit ausgelassener Freude haben die Menschen so das Jahr 2016 nach Christi Geburt begrüßt.
Was wird es uns bringen, dieses neue Jahr? Was wird es bringen für Dich und mich? Welche Pläne habe ich? Was davon wird gelingen, was wird misslingen? Wo werden mich freudige Überraschungen erwarten? Wo werden schwere Stunden über mich hereinbrechen?
Was wird dieses neue Jahr für die Welt bedeuten?
Werden die Beschlüsse der großen Klimakonferenz umgesetzt werden? Wird die Erhaltung der Schöpfung, für die wir im vergangenen Jahr mit Papst Franziskus so sehr gebetet haben, vorankommen? Werden wir die Wunder dieser Welt für künftige Generationen erhalten können?
Wird sich endlich etwas ändern in den unzähligen Kriegs- und Krisengebieten dieser Erde? Werden unsere Politiker angesichts der Flüchtlingsströme, die diese ungelösten Kriege mit sich bringen, weiter nur Grenzen dicht und damit rechte Parolen hoffähig machen, oder sind auch wir Europäer endlich Willens, die Ursachen der Flucht zu bekämpfen?
Begreifen wir am heutigen 1. Januar 2016, dem Weltfriedenstag, dass es unsere Aufgabe als Menschen – und noch mehr als Christen – ist, hier endlich aktiv und nachhaltig für den Frieden und für die Menschlichkeit zu arbeiten?
Hier würde schon ein Blick auf die Krippe reichen, die immer noch hier in unserer Kirche steht. Mir sagt dieser Blick heute:
Ein neues Jahr beginnt –
mit dem Kind in der Krippe.
Immer noch liegt ER in der Krippe,
geboren unterwegs in einer Notunterkunft ,
auf der Suche nach einer Herberge.
Maria sucht einen Platz für ihren Sohn,
für Gottes Sohn.
Es ist kein Idyll, diese Krippe,
eher ein Zeichen für das, was kommt:
Verfolgung, Bedrohung, Heimatlosigkeit
gehören zu seinem Leben.
Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester;
der Menschensohn aber hat keinen Ort,
wo er sein Haupt hinlegen kann – sagt ER später selbst.
Und heute?
Menschen sind auf der Flucht vor Bedrohung,
Mütter und Väter, Kinder und Alte sind
auf der Suche nach einer Herberge.
Menschen sind Fremde in der Fremde
und brauchen einen Platz zum Leben.
„Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern
getan oder nicht getan habt,
habt ihr mir getan – oder nicht getan.“
Maria sucht einen Platz für ihren Sohn – immer noch.
Gottes Sohn sucht eine Herberge – immer noch.
„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen!“
Ein neues Jahr beginnt – eine neue Chance zu leben –
mit dem Kind in der Krippe.*
Meine Lieben,
was also machen WIR als Christen aus diesem neuen Jahr 2016? Papst Franziskus hat es schon zum 8. Dezember als ein außerordentliches „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen. In Rom, aber auch in Passau, in Altötting und in vielen anderen Orten der Welt wurden mit feierlichen Gesten „Heilige Pforten“ geöffnet. Die Menschen, die sie durchschreiten, sollen so auch innerlich offen werden, für einen betenden Neuanfang im Glauben und in der Barmherzigkeit.
Was werden die Menschen, die auf ein wenig Barmherzigkeit hoffen, davon spüren im neuen Jahr? Wird unsere Kirche sich denen barmherzig und warmherzig zeigen, die von ihr enttäuscht wurden, die sich ausgegrenzt oder allein gelassen fühlen?
Werden die Menschen hier in unserer Pfarrgemeinde – durch uns alle hier – etwas von dieser Barmherzigkeit Gottes spüren? Wird es uns gelingen, dass sich hier – noch mehr als bisher – jeder Mensch willkommen, angenommen und aufgenommen fühlen kann, egal wie er lebt, welche Lebensgeschichte er mitbringt, egal wo er herkommt oder wie er uns begegnet?
Dieses neue Jahr 2016 ist für Dich und für mich Geschenk und Aufgabe zugleich. Es gibt mir viele Chancen, die ich nützen kann, für mich und für andere. Oft wird es an mir selber liegen, was ich daraus mache. Oft werde ich aber auch machtlos sein, angesichts der Dinge, die über diese Welt und mein Leben, hereinbrechen werden.
Aber in allem bleibt mir die Gewissheit, dass ich nicht allein bin. Die Gottesmutter Maria, deren Hochfest wir heute feiern, wird bei mir sein – und Christus selber reicht mir die Hand, auch im neuen Jahr. So möchte ich heute, am Beginn dieses Jahres, ganz bewusst mit den Worten beten, die uns Papst Franziskus für dieses Heilige Jahr der Barmherzigkeit mitgegeben hat:
Herr Jesus Christus,
du hast uns gelehrt, barmherzig zu sein wie der himmlische Vater,
und uns gesagt, wer dich sieht, sieht ihn.
Zeig uns dein Angesicht, und wir werden Heil finden.
Dein liebender Blick
befreite Zachäus und Matthäus aus der Sklaverei des Geldes;
erlöste die Ehebrecherin und Maria Magdalena davon,
das Glück nur in einem Geschöpf zu suchen;
ließ Petrus nach seinem Verrat weinen
und sicherte dem reumütigen Schächer das Paradies zu.
Lass uns dein Wort an die Samariterin so hören,
als sei es an uns persönlich gerichtet:
„Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht!“
Du bist das sichtbare Antlitz des unsichtbaren Vaters
und offenbarst uns den Gott, der seine Allmacht vor allem
in der Vergebung und in der Barmherzigkeit zeigt.
Mache die Kirche in der Welt zu deinem sichtbaren Antlitz,
dem Angesicht ihres auferstandenen und verherrlichten Herrn.
Du wolltest,
dass deine Diener selbst der Schwachheit unterworfen sind,
damit sie Mitleid verspüren mit denen,
die in Unwissenheit und Irrtum leben.
Schenke allen, die sich an sie wenden,
die Erfahrung, von Gott erwartet und geliebt zu sein
und bei ihm Vergebung zu finden.
Sende aus deinen Geist und schenke uns allen seine Salbung,
damit das Jubiläum der Barmherzigkeit
ein Gnadenjahr des Herrn werde
und deine Kirche mit neuer Begeisterung
den Armen die Frohe Botschaft bringe,
den Gefangenen und Unterdrückten die Freiheit verkünde
und den Blinden die Augen öffne.
So bitten wir dich,
auf die Fürsprache Marias, der Mutter der Barmherzigkeit,
der du mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes
lebst und herrschst in alle Ewigkeit.
Amen.
*Ingrid Engbroks/liturgie-konkret.de
(Foto: Witti)