Meine Lieben,
es war ein Tag, der ziemliche Veränderungen in mein alltägliches Leben gebracht hat, jener 6. November des vergangenen Jahres. Es war der Tag des heiligen Leonhard, des Viehpatrons, den ich selber sehr schätze, weil er in meiner Heimat so hoch verehrt war. Noch am Sonntag zuvor war ich Festprediger beim großen Leonharditag in Aigen am Inn. An jenem Mittwoch, der der eigentliche Gedenktag des Heiligen war, hab ich der Frühe im Feichtener Pfarrhaus ihm zur Ehre die Messe gefeiert. Dem folgte ein ganz normaler Arbeitstag und der Abend war einer der wenigen, die frei von Terminen waren. Ich wollte Freunde besuchen, war kurz vor Traunstein, als plötzlich mein Handy läutete. „Weißt du, wem ein Papagei fehlt?“, bekam ich zu hören. Die Steinmetze hatten auf dem Feichtener Friedhof das im Regen durchnässte Tier halbtot aufgefunden. Über Nacht bekam er noch Asyl beim Bauleiter, am nächsten Tag zog er bei mir im Pfarrhof ein. In Windeseile wurde alles Nötige besorgt und die diversen Behörden wurden eingeschaltet. Ich weiß nicht, was das Tier alles mitgemacht hat, bis es kraftlos da auf dem Friedhof lag und die Nacht wohl nicht überstanden hätte. Ich weiß nur, dass der Vogel mir vom ersten Augenblick an sehr anhänglich war – und das hat sich bis heute in ungewöhnlicher Weise noch gesteigert, so dass er daheim mein ständiger Begleiter ist und immer mehr aufs Wort gehorcht. Vom ersten Moment an schenkte mir diese Tier ein schier unglaubliches Vertrauen, – ein Vertrauen, das so tief und vorbehaltlos ist, wie man es von Menschen kaum einmal erleben kann. Vielleicht hat deshalb auch Jesus, als er die Menschen zu einer tiefen und vertrauensvollen Gottesbeziehung einladen wollte, ein Bild aus der Tierwelt gebraucht. Er sprach zwar nicht vom Papagei, wohl aber von den Schafen. Auch sie vertrauen ihrem Hirten bedingungslos. Sie folgen ihm ohne Argwohn. Sie sind fest davon überzeugt, dass dieses tiefe Vertrauen nicht enttäuscht wird, weil er, der Hirte, nur ihr bestes will. Aber Jesus verschweigt auch nicht, dass es andere gibt, Diebe und Räuber. Ihnen sind die Schafe nicht gefolgt. Zu ihnen fanden sie kein Vertrauen. Bei ihnen spürten sie, dass sie es nicht gut mit ihnen meinten. Als ich daheim am Schreibtisch dieses Evangelium vom guten Hirten so vor mir liegen hatte, saß der Leonhard, mein Papagei, auf meiner Schulter und liebkoste mein Ohrläppchen und meine Wange in seinem grenzenlosen und arglosen Vertrauen zu mir. Und da kam in mir plötzlich eine große Frage auf: „Wem kannst du in deinem Leben so vorbehaltlos vertrauen? Wem vertraust du dich so völlig an, auch wenn du in deinem Leben schon schlechte Erfahrungen gemacht hast, wenn dein Vertrauen schon durchaus auch enttäuscht wurde?“
Meine Lieben,
hier macht Jesus mir mit dem Gleichnis vom guten Hirten ein Angebot – und es ist nicht das schlechteste. Er will mir Gott zeigen, als einen, auf den ich mich – trotz negativer Erfahrungen und Enttäuschungen – so unbedingt und arglos verlassen kann, wie ich es sonst bei einem Menschen oft kaum einmal könnte. Aber für ein solches Vertrauen reichen ein paar fromme Worte, ein Lippenbekenntnis, nicht aus. Solches Vertrauen muss wachsen, muss zu einer Beziehung werden, die ich auch pflege. Solches Vertrauen entsteht nur dort, wo ich die Nähe des anderen suche, denn nur so kann ich die Geborgenheit spüren, die er mir vorbehaltlos schenken will. – Oder wie es Jesus, der gute Hirte, heute Dir und mir verspricht:
„…ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“