Meine Lieben,
„Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ – Dieses Jesaja-Wort, das Jesus im heutigen Evangelium ausdrücklich auf sich bezieht, gehört mit zum Schönsten in unserer Heiligen Schrift.
Es drückt aber auch aus, wozu wir als Christen in der Welt gesandt sind, gerade auch jetzt, in diesem außerordentlichen Heiligen Gnadenjahr der Barmherzigkeit. Der Ort Jesu und damit auch der Ort seiner Jüngerinnen und Jünger in dieser Welt, ist bei den Armen und Geknechteten, bei den Geschundenen und bei denen, die sich nach einer besseren und menschlicheren Welt sehnen.
Dort, wo die christlichen Kirchen so konsequent auf der Seite der Menschen stehen, sind sie am glaubhaftesten. Das zeigt bei Umfragen deutlich das positive Echo für die katholische Caritas und die evangelische Diakonie. Uns fordert – gerade im Jahr der Barmherzigkeit – Papst Franziskus nimmermüde auf, so konsequent auf der Seite der Armen, an den Rändern der Gesellschaft, bei denen, die uns am meisten brauchen, zu stehen. Hier ist Kirche glaubhaft.
Aber gerade hier werden wir Christen neuerdings mit blankem Hass überzogen, der nicht davor zurückschreckt, zu offener Gewalt gegen die Kirchen in Deutschland aufzurufen. Tatjana Fensterling, die selbsternannte „Frontfrau“ der sogenannten PEGIDA, offenbarte vor einer guten Woche in Leipzig das wahre Gesicht dieser Gruppierung. Sie sagte in aller Öffentlichkeit: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“
Hier werden Grundpfeiler, die in unserer Demokratie unter dem besonderen Schutz des Gesetzes stehen, nicht nur verunglimpft, sondern offen bedroht. Die selbsternannten Verteidiger des Abendlandes wollen die kulturellen Wurzeln dieses Abendlandes, die unumstößlich im jüdisch-christlichen Denken liegen, offenbar vernichten.
Die Tatsache, dass unser Land heute so gut da steht, wie nie zuvor in der Geschichte, mit Rekord-Steuereinnahmen, mit niedrigster Arbeitslosigkeit, hindert hier nicht daran, die Grundlagen dieses Landes mit Füßen zu treten und mit Gewalt zu bedrohen.
Schon am 6. Dezember war in der renommierten Zeitung „Die Welt“ zu lesen, dass es eine aggressive neue Kirchenfeindschaft gebe. Es würden rabiate rechtslastige Religionslose auftreten, „denen das Christentum als Bollwerk gegen eine vermeintliche Islamisierung willkommen ist, aber inhaltlich nichts bedeutet.“ Daraus wird gefolgert, „dass … jetzt Religionslose… ihre Abwehrschlachten auf Christen ausdehnen.“
Meine Lieben,
als vom 10. bis zum 23. August 1948 die Väter und Mütter des Deutschen Grundgesetztes hier in unserer unmittelbaren Nähe auf Herrenchiemsee in einem großen Konvent unsere Verfassung ausgearbeitet haben, taten sie das bewusst in der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Nicht wenige von ihnen waren engagierte Christen, die erlebt hatten, welches Elend und welche unermessliche Schuld ein gottloser und verbrecherischer Staat und alle, die ihm folgten, über dieses Land und weite Teile der Welt gebracht haben.
Engagierte Christen haben – quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen – dieses Land wieder groß und zu einem verlässlichen und friedvollen Partner in der Welt gemacht. So dürfen wir auch heute – in einer Zeit des Wohlstandes, wie er nie zuvor hier existiert hat – nicht zulassen, dass die christlichen Werte des Abendlandes vom Mob einiger Straßenzüge mit Füßen getreten werden. Das Evangelium zeigt uns klar, wo und bei wem unser Platz als Christen ist.
Wir dürfen, ja, wir müssen uns zu Wort melden innerhalb der öffentlichen Diskussion, gerade auch, wenn menschenverachtende Parolen der Straße Einfluss auf die demokratischen Parteien und die Gesetzgebung nehmen wollen. Mit dem Propheten Jesaja zeigt uns Jesus unseren Platz als Christen in dieser Welt:
„…der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“
Amen.
(Text/Foto: Witti)