Meine Lieben,
„Ich kann Gott nicht verstehen…“ – Immer wieder höre ich diesen Satz von Menschen. Meist erzählen dabei schon ihre Augen von existentiellen Fragen, von tiefen Sorgen, von großer Angst. Und wenn die Menschen dann auch selber zu erzählen beginnen, dann höre ich oft die große Frage:
„Wie kann Gott das zulassen?“
„Wie kann Gott all das Leid in der Welt, das durch Krieg, Elend und Terror geschieht, denn zulassen?“ – „Wie kann Gott es zulassen, dass ein Kind auf die schiefe Bahn gerät?“ – „Wie konnte Gott es zulassen, dass dieser schreckliche Unfall geschah?“ – „Wie konnte Gott es zulassen, dass diese Krankheit über mich gekommen ist?“ – „Wie konnte Gott das alles nur zulassen?“
Bei all diesen Fragen kann ich dann ehrlicherweise auch nur antworten: „Ich weiß es nicht…“ Ich stelle mir ja all diese Fragen auch selber oft genug. Es ist doch ein guter, barmherziger, menschenfreundlicher Gott, an den ich glaube, den ich den Menschen verkünde.
Oft genug erlebe und erspüre ich Gott aber auch so: Wenn zwei Menschen sich finden und miteinander glücklich sind; wenn ein Kind geboren wird, obwohl die Zeit der Schwangerschaft schwierig war; wenn Menschen einander die Hand reichen; aber oft mehr noch, wenn ich schweigen und staunen kann; wenn ich mitten im Leben seine Nähe spüre, als könnte ich ihn mit Händen greifen; wenn ein Wort der Schrift mich mitten ins Herz hinein trifft; wenn ich ihm – hier mit Euch allen – tief und geistlich begegnen darf in den Sakramenten, die er uns geschenkt hat.
Beides gehört zu meinen Erfahrungen mit Gott, das fragende Unverständnis ebenso, wie die Geborgenheit seiner Nähe. Beides begleitet mich an diesem Dreifaltigkeitssonntag. Ich mit Ihnen und Euch allen hier in der Eucharistie dieses Fest, das zeigen will, wie sich der eine, ewige, unbegreifliche Gott dem Menschen in drei göttlichen Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, geoffenbart hat, wie er den Menschen nahe kommen will, wie er sich nach dem Menschen sehnt. Die Schrift gibt Zeugnis davon. Verstehen wird es ein Mensch nicht können.
Der evangelische Theologe Hans-Martin Barth versucht es einmal so zu erklären: „Warum braucht es … eine so komplizierte Vorstellung wie die der Dreieinigkeit? Letztlich ist sie gar nicht so kompliziert. Man versteht sie vielleicht besser, wenn man sich klar macht, wie sie entstanden ist. Die ersten Jünger und Jüngerinnen Jesu sind Jesus nachgefolgt, weil sie sich ihm nicht entziehen konnten und weil die Begegnung mit ihm ihrem Leben eine neue Perspektive gegeben hat. Damit hat sich ihnen natürlich die Frage nahegelegt: Woher kommt dieser Jesus, woher hat er diese Ausstrahlung und dieses Anziehungskraft? Wie verhält sich das alles zu Gott, von dem doch schon im Alten Testament die Rede ist? Sie entdeckten die Beziehung zwischen Gott „dem Vater und „dem Sohn“. Und die Wirkung, die er auf sie ausgeübt hat, war so stark, dass sie sagen mussten: In ihm begegnet uns Gott selbst, in ihm manifestiert sich die göttliche Kraft. Gott selbst identifiziert sich mit ihm, mit seinem Lehren und Heilen, aber auch mit seinen äußeren Belastungen und seinen inneren Bedrängnissen, seinem Leiden und Sterben. In ihm wirkt „der heilige Geist“, der uns ansteckt. Was machen wir jetzt? Wir müssen uns ändern, wir lassen uns taufen, um diese Kraft des Heiligen Geistes auch zu empfangen, um in ihr mit einander zu leben und Gutes zu tun.“
Meine Lieben,
dieser Sonntag zeigt mir also Gott einerseits als den, der nicht einsam vor sich hin existiert, sondern in den drei Personen zuallererst liebevolle Gemeinschaft ist. Er zeigt mir Gott als einen, der sich sehnsuchtsvoll dem Menschen zuwendet. Aber er zeigt mir auch, dass Gott immer unbegreiflich bleibt, größer, geheimnisvoller, als ich es jemals denken könnte. Aber nur so kann ich sicher sein, dass es auch Gott ist, denn könnte ich den großen Gott mit meinem kleinen Verstand wirklich begreifen, dann wäre er nicht Gott…
Amen.
(Text/Bild: Witti)