die Geschichte mit der Frau am Jakobsbrunnen hat es in sich, das ist mir am Freitag besonders klar geworden. Ich war für zwei Tage einer der Referenten bei einem Predigtkurs in Passau und da haben wir eben diesen Text gemeinsam „beackert“. Viele verschiedene Gedanken wurden aus dieser Begegnung am Brunnen herausgelesen und haben mich sehr beeindruckt. So hat mich die Geschichte einfach nicht mehr losgelassen, bis ich selber etwas darin entdeckt haben: Die Geschichte ist eine Liebesgeschichte – und sie kennt nicht nur einen, sondern drei tiefe Brunnen…
Der erste Brunnen ist der in Stein gefasste „Jakobsbrunnen“ selber. Seit wann er Wasser und damit Leben für Menschen, Tiere und Pflanzen spendet, weiß schon damals niemand mehr. Er ist ein wichtiger „Lebens-Ort“, ein gesellschaftlicher Mittelpunkt, aber auch ein Ort, der Feindschaft und Abgrenzung zeigt. Wegen uralter Zerwürfnisse würde kein Jude ein Dorf der Samariter betreten, geschweige denn aus ihrem Brunnen trinken. Erst als die namenlose Frau dort am Brunnen Jesus begegnet, wird Feindschaft überwunden, Gespräch möglich, Begegnung erfahrbar. Der Beginn einer Liebesgeschichte…
Der zweite Brunnen in der Geschichte ist jene Frau selbst: Wie aus einem Brunnen sprudelt es auch aus ihr heraus. Ihr Leben ist ein tiefer Brunnen. Jesus sieht hinein, erkennt vieles, das ihren „zweifelhaften Ruf“ in den Augen anderer begründet hat. Aber Jesus ist kein Moralist. Er nimmt nur wahr, sieht in der Frau eine Sehnsucht, die noch viel tiefer ist, als der tiefste Brunnen; eine Sehnsucht, die kein Wasser dieser Welt, keine oberflächliche Affäre, wirklich stillen kann. Jesus spürt diese tiefe Sehnsucht, die aufsteigt wie kühles Wasser aus der Tiefe eines Brunnens. So wie die Frau das Brunnenwasser in den Krug schüttet, bietet Jesus sich selber an, als Gefäß, das sie Sehnsucht der Frau fassen kann. Eine Liebesgeschichte, die viel tiefer geht, als alle Affären, die die Frau schon erlebt hat…
Der dritte Brunnen in der Geschichte ist für mich Jesus: In der Sehnsucht der Frau erkennt er einen unbändigen Durst nach Leben; nach einem Leben, das mehr zu bieten hat, als nur das rasche Vergnügen. Sein Gespräch mit der Frau geht lang hin und her, birgt auch Missverständnisse. Aber irgendwann sagt Jesus das Entscheidende: Er gibt ihr nicht nur irgendein Wasser, verabreicht nicht einfach irgendeinen stimmungsaufheiternden Trank fürs Leben. ER selbst IST dieses Wasser, das neues Leben schenkt. Wie gutes Wasser will er leben erfrischen, stärken, will er auch manches abwaschen und Menschen neu zum Strahlen bringen, so wie er einen barmherzigen und menschennahen Gott verkündet. Er hält der Frau am Brunnen ihren zweifelhaften Lebenswandel nicht vor, tritt ihre Fehler nicht genüsslich breit. Er macht ihr vielmehr Mut, sich selbst, dem Leben und auch Gott neu zu vertrauen. Er gibt der Sehnsucht der Frau ein Ziel, lässt sie spüren: Auch du bist doch geliebt. Auch du kannst jeden Tag im Guten neu beginnen.
Meine Lieben,
wenn die Kehle durstig ist, weiß ich, wo und wie ich diesen Durst stillen kann. Wohin aber gehe ich, wenn die Seele durstig ist? Wo schöpfe ich „lebendiges Wasser“, wenn meine Sehnsucht tiefer wird, als der tiefste Brunnen es je sein könnte?
Auch auf mich wartet da wohl einer, an manchem Brunnen, der an meinem Lebensweg auftaucht. Die Frage ist nur, nehme ich mir die Zeit, nehme ich mir ein Herz, um mit ihm so ins Gespräch zu kommen?
Amen.
(Foto: pfarrbriefservice.de)