Predigt zum „Sonntag der Weltmission“ 2014 (Pfarrer Michael Witti)
was wäre, wenn Sie für eine Jeans plötzlich einen Euro mehr bezahlen müssten? Wehtun würde mir das wohl nicht. Im „normalen“ Einzelhandel fällt es gar nicht ins Gewicht. Er wäre für mich sogar noch umso verschmerzbarer, je mehr ich mir bewusst mache, dass nicht nur „Billig-Ketten“, sondern auch namhafte Marken ihre Mode unter menschenverachtenden Zuständen produzieren lassen. Überwiegend sind es Frauen in Bangladesch und anderen fernöstlichen Staaten, die, faktisch in Sklavenarbeit, unsere Mode herstellen. Ihre Löhne spotten ebenso jeder Beschreibung, wie die Arbeitsbedingungen dort. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller machte vor einer Woche eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Rechnung auf: Ein Euro mehr für jede Jeans im Handel könnte für die Arbeiter einen unglaublichen Fortschritt bringen im Blick auf skandalöse Kinderarbeit, Hungerlöhne und Vergiftungen durch ungeschützten Umgang mit chemischen Substanzen. Alle großen Textilhändler Deutschlands waren sofort dagegen, zeichnetet Schreckensszenarien vom Untergang der deutschen Wirtschaft. Unter der Hand zu hören: Wie solle man in Fernost existenzsichernde Löhne zahlen, wenn man das in der Textilbranche meist nicht einmal hier in Deutschland täte. Den „Großen“ im Handel ist also schlichtweg egal, wie die „Kleinen“ in der Produktion arbeiten und leben. Tausende Tote bei Fabrikeinstürzen ändern daran ebenso wenig, wie die steigende Suizidrate dieser modernen Sklaven.
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen…“
Diese Gottesrede aus dem Buch Exodus, die wir in der Ersten Lesung gehört haben, klagt uns alle hier an. Sie zeigt uns als Christinnen und Christen gerade am heutigen „Sonntag der Weltmission“, mit welcher Mission wir in die Welt von heute gesandt sind.
Vieles haben wir – auch durch die Bewusstseinsbildung am Weltmissionssonntag – in den letzten Jahren schon erreicht. In vielen Supermärkten gibt es heute schon selbstverständlich Schokolade, Tee, Kaffee, Wein und vieles andere aus „fairem Handel“. Die Produzenten und ihre Familien können davon menschenwürdig leben. Aber vieles liegt auch noch im Argen, wie uns das aktuelle Beispiel aus der Modebranche zeigt. Dort müssen wir wohl noch lange auf „fair“ gehandelte Produkte warten, wenn wir nicht als Verbraucher endlich massiven Druck machen und auch bereit sind, bewusst einen Euro pro Jeans mehr zu zahlen.
„In der Wurzel ungerecht” nennt Papst Franziskus das aktuelle ökonomische System in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“. Diese Form der Wirtschaft töte, denn in ihr herrsche das Gesetz des Stärkeren. Der Mensch sei nur noch als Konsument gefragt, und wer das nicht leisten könne, der werde nicht mehr bloß ausgebeutet, sondern ausgeschlossen, weggeworfen. Diese Kultur des Wegwerfens habe etwas Neues geschaffen. „Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“.“ Die Welt lebe in einer neuen Tyrannei des „vergötterten Marktes“, die manchmal sichtbar, manchmal virtuell sei. Hier regiere die Finanzspekulation, die Korruption und Egoismen, so der Papst. Und er wird noch deutlicher im Blick auf die vielfältige moderne Sklaverei: Die neuen Sklaven seien diejenigen, die wir jeden Tag umbrächten durch Arbeit in illegalen Fabriken, im Netz der Prostitution, in den zum Betteln missbrauchten Kindern. „Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage geht alle an! Dieses mafiöse und perverse Verbrechen hat sich in unseren Städten eingenistet, und die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer bequemen, schweigenden Komplizenschaft“, so der Papst
Meine Lieben,
wenn wir am Morgen modisch gekleidet in den Spiegel schauen und uns selber sagen „Ich bin Christ“, dann darf das kein leeres Lippenbekenntnis bleiben. Davon hat die Welt schon genug. Es ist vielmehr Deine und meine Aufgabe, mit aller Kraft die wir haben, Unrecht beim Namen zu nennen, Bewusstsein zu schärfen, gerecht und menschlich zu handeln, überall dort, wo wir die Möglichkeit dazu haben. Oft genügt schon beim Einkauf eine kritische Nachfrage, wo denn das billige Shirt her sei, wer es produziert habe, auch wenn Sie darauf wohl meist keine Antwort bekommen werden.
Vor Ort bei den Ärmsten will die Aktion MISSIO, für die die heutige Kollekte bestimmt ist, den Ärmsten der Armen die Kraft geben, sich mit dem Mut des Evangeliums, getragen von uns als Schwestern und Brüder der Armen, für eine bessere Zukunft einzusetzen.
Dann reicht das was wir haben in Gottes Namen für Dich und für mich, aber auch für jene, die derzeit von unseren Märkten noch mit Füßen getreten werden. Dann leben auch wir das, was Jesus selber uns als das Wichtigste ans Herz legt:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz…“
Amen.