sind Sie schon einmal einem „echten“ Heiligen begegnet, also jemandem, der dann nach seinem Tod offiziell zur Ehre der Altäre erhoben wurde und von den Menschen betend verehrt wird? Auf den ersten Blick scheint das eine reichlich seltsame Frage zu sein. Aber es hat mir vor einigen Tagen sehr berührt, als mir wieder bewusst wurde, dass ich wirklich schon einmal so einem Menschen begegnet bin – und womöglich viele von Ihnen hier auch: Papst Johannes Paul II.
Viele Bilder zogen da vor meinem inneren Auge vorbei, als ich vor kurzem, am 22. Oktober, einem Donnerstagmorgen, in Hart die Messe im Gedenken an diesen heiligen Papst gefeiert habe. Als Schüler und eifriger Ministrant hatte ich einst mit meiner Heimatpfarrei das schier unvorstellbare Glück, mit ihm die Osternacht im Petersdom zu feiern – ein Ereignis, das ich wohl nie vergessen werde. Dieser große und doch so menschliche Mann auf dem Stuhl Petri hat mich sehr beeindruckt.
Ähnlich ging es wohl auch vielen von Ihnen hier, wenn Sie ihn etwa bei seinem Besuch in Altötting oder bei einer Generalaudienz in Rom einmal erleben durften. Er war ein charismatischer Gottesmann, auch wenn er in vielen Entscheidungen durchaus in Kirche und Welt nicht immer unumstritten war. Heute ist er ein – mit all seinen großartigen Fähigkeiten, aber auch mit all dem, was an seinem Leben hinterfragt werden kann – ein offizieller „Heiliger“ unserer Kirche. Papst Franziskus hat ihn – gemeinsam mit dem Konzilspapst Johannes XXIII. Am 7. April 2013 zur Ehre der Altäre erhoben. Ich bin also tatsächlich in meinem Leben schon einmal einem „richtigen Heiligen“ begegnet. Und je länger ich darüber nachdenke, bin ich zutiefst überzeugt, dass ich schon viel mehr „Heiligen“ in meinem Leben begegnet bin, auch wenn die niemals von einem Papst heiliggesprochen wurden.
Mir fallen da in meiner Familie und in meiner Heimatpfarrei großartige und liebenswerte Menschen ein, denen ich meinen Glauben und mein bewusstes Leben in und mit dieser Kirche verdanke. Ich denke aber auch an Lehrer von mir und an ganz einfache Leute, bei denen ich spüren konnte, was Menschlichkeit bedeutet. Das waren für mich Menschen, die Jesu Seligpreisungen mit Leben erfüllt haben. Sie haben wirklich Barmherzigkeit geübt, haben ihren Hunger und Durst nach Gerechtigkeit für diese Welt klar ausgesprochen. Sie sind mit Armen und Benachteiligten, mit Trauernden und Enttäuschten so umgegangen, als wäre ihnen in diesen Menschen wirklich Christus selber begegnet.
Alle diese Menschen sind für mich heute auch „Heilige“. An alle diese Menschen denke ich, wenn ich heute hier diesen Festgottesdienst feiere.
Und ich glaube, wenn wir nur ein bisschen nachdenken, dann fallen jeder und jedem von uns hier solche Menschen, solche „Heilige“ mitten in unserem alltäglichen Leben ein. Diese Leute müssen dabei gar nicht perfekt oder unumstritten sein. Das sind die „richtigen Heiligen“ ja auch nicht immer, wie etwa die Diskussionen um Johannes Paul II. zeigen. Aber in diesen Menschen leuchtet für dich und für mich etwas auf, von Gottes gutem Geist.
Meine Lieben,
dieser Geist will aber auch Dich und mich bewegen. In der Taufe wurden wir selber „Heilige“ genannt – und wir dürfen es in diesem Leben immer noch mehr werden. Und irgendwie hoffe ich ja schon auch, dass ich dann, am Ende der Tage, dabei sein werde, so wie es die sinnigen Zeilen eines unbekannten Verfassers beschreiben:
Am Ende der Tage, wenn die Welt neu wird, will ich ziehen in die Heilige Stadt. Ich möchte mit dabei sein in der unübersehbaren Schar, die niemand zählen kann: In der Schar aller Armen und Vergessenen, aller Verachteten und Verlassenen. Am Ende der Tage, wenn die Welt neu wird, werden alle anstimmen das große Halleluja. Dann möchte ich mitsingen im großen Chor Zusammen mit allen Verstummten und Sprachlosen, allen Bedrängten und Stimmlosen. Am Ende der Tage, am Anfang der neuen Schöpfung, werden wir alle Wohnung nehmen in der Heiligen Stadt. Es werden aufleuchten alle Weggestoßenen und Verirrten, alle Rechtlosen und Verdrängten. Am Ende der Tage, am Anfang der neuen Schöpfung, werden alle die Herrlichkeit Gottes schauen und bleiben in deinem Licht. Dann möchte ich dabei sein in der Schar, die niemand zählen kann; in der Schar aller Armen, in der Schar deiner Heiligen.
Amen.
Pfarrer Michael Witti (Text und Bild)