Meine Lieben,
„Wie erklären Sie einer 17-jährigen, atheistischen Ostdeutschen, was Jesu Vision war – auf einem Bein stehend? – Können Sie das? Oder müssen sie erst üben, auf einem Bein zu stehen?“ Diese Frage des renommierten Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner, hat es in sich. „Wie erklären Sie einer 17-jährigen, atheistischen Ostdeutschen, was Jesu Vision war – auf einem Bein stehend? – Können Sie das? Oder müssen sie erst üben, auf einem Bein zu stehen?“
Bei meiner wenig ausgeprägten Sportlichkeit, wäre sicherlich schon das Stehen auf einem Bein eine gewisse Herausforderung, die meine Redezeit sehr einschränken würde. Wie aber sollte ich dann auch noch kurz und verständlich Jesu Vision vom Menschen, von dieser Welt, vom Reich Gottes auf den Punkt bringen?
Aber genau deshalb – so möchte man meinen – sitzen wir doch alle heute hier in unserer schönen Kirche? Es geht hier ja nicht darum einen Brauch zu erfüllen, oder die Zeit totzuschlagen, nur weil man vielleicht gerade nichts Besseres vorhat.
Wir sind hier um der Vision Jesu für diese Welt, für Dich und mich nachzuspüren, um ihn selber zu spüren, um ums auf ihn und seine Botschaft einzulassen.
Und deshalb stellt Jesus heute nicht nur dem Petrus, sondern genauso und vor allem Dir und mir die alles entscheidende Frage:
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Wer ist dieser Jesus für Dich? Wer ist er für mich? – So gefragt reicht es nicht, ein paar auswendig gelernte Sätze nachzuplappern, die ich vom Religionsunterricht von einst herübergerettet habe. Es reicht für mich auch nicht, wenn ich die großen Worte der gescheiten Leute zitiere, von denen ich im Studium jahrelang gehört und gelesen habe.
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Ich könnte nun versuchen, anhand der wunderbaren Worte und Taten Jesu eine Antwort zu geben. Da würde ich dann wohl schnell und nicht mehr ganz so stotternd von „Liebe“ und „Frieden“ und Menschlichkeit reden. Das ist für mich ja auch ganz zentral an Jesu Botschaft. Aber wäre das schon ausreichend? Wenn ich vom Roten Kreuz, von Amnesty International oder den SOS-Kinderdörfern erzählen würde, dann kämen wohl die gleichen Begriffe. Ist Jesus für mich doch nur der gute Mensch von nebenan, der dann halt in einer Reihe steht mit so vielen anderen guten Menschen? Was aber ist dann mit dem Rest seiner Botschaft? Wo und wie berührt er mich mit diesen weiteren Worten?
Jesus nennt Gott in der Alltagssprache seiner Mitmenschen „Abba“. Wenn wir das im Deutschen mit „Vater“ übersetzen, ist es eigentlich zu wenig. „Papa“ wäre richtiger, im unendlichen Vertrauen, wie es nur ein kleines Kind seinem Papa und auch seiner Mama entgegenbringen kann. Kann ich so – wie Jesus – von Gott und vor allem auch mit Gott sprechen?
Jesus fordert noch mehr unbequemes. Er spricht von der Liebe zum Feind, zu dem, der mir nur Böses will, der mich nicht nur verachtet, sondern am liebsten tot sehen will. Ist solche Liebe möglich? Oder vertrau ich doch lieber auf die eigene Stärke? Ist es nicht besser, es dem anderen gleich und mit voller Kraft heimzuzahlen, damit er dann hoffentlich Ruhe gibt? Ist diese Liebe, von der Jesus spricht, im Alltag nicht nur ein schöner Traum, der dann aber doch wie eine Seifenblase zerplatzt?
Und wie geh ich mit dem um, das mir Jesus heute verspricht, wenn ich mich auf seinen Weg einlasse? Er sagt mir keine gute Stellung, kein Ansehen, keine Würde und keine Karriere voraus. Er hält Dir und mir das Kreuz vor Augen. Wer sich auf seinen Weg einlässt, wer an das Kommen von Gottes Reich mitten in unserer oft so gottfern erscheinenden Welt glaubt und sich dafür einsetzt, darf letztlich nichts anderes erwarten als das Kreuz. Will ich das wirklich für mich und mein Leben?
Meine Lieben,
es ist ein Kreuz mit diesem Jesus, vor allem, wenn er Dir und mir in seiner unnachahmlichen Direktheit diese vertrackte Frage stellt:
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Ich kann und ich will diese Frage heute hier nicht beantworten, denn Worte allein – da bin ich fest überzeugt – würde hier nicht ausreichen. Ich glaube ich muss eher diese Frage heute bewusst mitnehmen, sie immer wieder an mich heranlassen. Der britische Schriftsteller und engagierte Christ Adrian Plass legt mir in einem seiner Bücher daher folgendes ans Herz:
Übrigens, diese wichtige Frage, die Petrus beantwortete, wird Jesus irgendwann jedem von uns auf unserem Weg mit ihm stellen. „Vergiss einmal, was die Leute in oder außerhalb deiner Gemeinde denken“, wird er sagen. „Vergiss einmal, was die berühmten Christen und Geistlichen und Theologen, die Schriftsteller, die sich für witzig halten, dein bester Freund und die Leute aus deinem Hauskreis und der Typ auf der Arbeit und die viktorianischen Choraldichter denken. Für wen hältst du mich?“
Nun?1
1Aus: Adrian Plass, Lasst die Enten doch rückwärts fliegen
(Text/Bild: Witti)