Meine Lieben,
ich war damals gerade erst an meiner zweiten Kaplansstelle in Bad Füssing angekommen und noch nicht einmal in meine Wohnung eingezogen. Da ich auch für die Kur- und Urlauberseelsorge zuständig war, gehörte zu meinen ersten Aufgaben auch ein ganz beeindruckender Termin. Ich war eingeladen zur Amtseinführung des neuen evangelischen Pfarrers und Kurseelsorgers. So saß ich am Sonntagvormittag in der nahen evangelischen Christuskirche. Neben mir saß damals der Altabt der Benediktinerabtei Niederaltaich, der meinem evangelischen Kollegen sehr verbunden war. Wir feierten den Gottesdienst mit, überbrachten die Segenswünsche der katholischen Schwesterkirche und erlebten eine sehr schöne Feier. Nach der Predigt wurde am Altar das Abendmahl bereitet. Über Brot und Wein wurden – wie bei unserer katholischen Messe – die Einsetzungsworte gesprochen. Die evangelischen Pfarrer und Gemeindevorsteher versammelten sich zum Empfang des Abendmahles im Kreis um den Altar. Nur der Abt und ich saßen noch auf Stühlen in der ersten Reihe. Eine Dame drehte sich zu uns um, nickte uns freundlich zu, hielt im Kreis eine Lücke für uns beide offen und machte eine herzliche einladende Geste mit der Hand. Es hat mir unendlich wehgetan, ihr in diesem Moment leise sagen zu müssen: „Wir dürfen leider nicht…“ So saß ich schweigend da, als die evangelischen Schwestern und Brüder den Auftrag Jesu erfüllten: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Zum Abt neben mir, der selber ursprünglich evangelisch getauft worden war, aber später zum Katholizismus konvertierte und ins Kloster eingetreten ist, sagte ich dann leise: „Es tut sehr weh, so zu spüren, wie getrennt wir immer noch sind.“ Er schwieg erst, aber dann beugte er sich doch zu mir herüber und sagte einen Satz, den ich seither nicht mehr vergessen konnte: „Vielleicht müsste es noch viel mehr wehtun…“ Seither hab ich immer wieder über diese Worte nachdenken müssen. „Vielleicht müsste es noch viel mehr wehtun…“
Vielleicht haben wir uns schon viel zu sehr an diese unselige vielfache Trennung und Spaltung der Christenheit gewöhnt. Vielleicht sind immer noch Vorurteile auf allen Seiten viel zu stark. Vielleicht sind wir zum bequem geworden, um noch nach Unterschieden zu fragen und dennoch das Verbindende zu suchen und um die Einheit zu ringen. Vielleicht ist es und längst einfach egal…
Viele – auch engagierte Christinnen und Christen– können und wollen diese Trennungen heute nicht mehr verstehen. Viele konfessionsverbindende Ehepaare besuchen im Wechsel die Gottesdienste beider Kirchen, denen sie angehören – und leiden dennoch mit am meisten unter dem Ärgernis der Spaltung. Die vielen gemeinsamen Dokumente der Kirchen sind zwar erfreulich, aber sie sind zu wenig; zu wenig für viele Christinnen und Christen, die spüren, dass eine getrennte und zerrissene Christenheit unglaubwürdig ist, zu wenig für den Auftrag Jesu, der wollte, dass alle eins sind. Heute stehen wir in der Ökumenischen Gebetswoche für die Einheit der Christen. Sie ist heuer mit einem Motto aus dem 2. Korintherbrief überschrieben: „Versöhnung – die Liebe Christi drängt uns“
Meine Lieben,
diese Woche des Betens um die Einheit der Christen soll uns zeigen, was Jesu Ruf aus dem heutigen Evangelium für uns bedeuten kann: „Kehr um!“ – Gebt euch nicht zufrieden mit der Trennung! Wagt das Aufeinander-zugehen! Träumt Jesu Traum von der Einheit! Werdet nicht müde darum zu beten und daran zu arbeiten! Es sollen aber auch sichtbare Schritte folgen. Mit den evangelischen Pfarrern der Umgebung verbindet mich ein gutes, meist freundschaftliches Verhältnis. Vor ein paar Tagen haben wir uns hier in Feichten getroffen, um zu überlegen, wie wir hier die Erinnerung an 500 Jahre Reformation begehen könnten. Wir schauten auf eine Welt voller Umbrüche, in der die Menschen damals Halt und Sicherheit gesucht haben. Martin Luther suchte diesen Halt in einer neuen Hinwendung zur Heiligen Schrift als Quelle unseres Glaubens. Die Menschen hier bei uns strömten in dieser schwierigen Zeit in so großen Scharen zur Muttergottes von Feichten, dass am Vorabend der Reformation der Bau dieser großen Kirche nötig wurde. Knapp fünf Monate nach Luthers Thesenanschlag wurde die heutige Feichtener Kirche geweiht.
Gleichzeitig hat unser ökumenisches Gespräch auch gezeigt, dass Luther die Kirche nicht spalten, sondern von innen heraus geistlich und geistig erneuern wollte. Er selber war erschüttert, über das was kam. Zugleich hat er selber, auch nach seiner Heirat, ein Leben lang die dann bei ihm schon deutsche Messe gelesen, hat die Ohrenbeichte praktiziert und – was heute manch Unkundigen erstaunen mag – wunderbare Marienpredigten und Texte verfasst. So wollen wir als katholische und evangelische Christen gemeinsam am Fest Maria Geburt heuer hier einen ökumenischen Gottesdienst feiern. Wir wollen zeigen, dass der Blick auf Maria uns nicht trennt. Wir wollen spüren, wie viel uns im Glauben an Gott und im Auftrag des einen Herrn verbindet. Wir wollen beten und arbeiten für ein wachsendes ökumenisches Miteinander. Denn nur so können wir glaubhaft und glaubwürdig Jesu Auftrag ernst nehmen:
„Kehr um! Denn das Himmelreich ist nahe… Kommt her, folg mir nach…“
Amen.
(Text/Bild: Witti)