Liebe Schwestern und Brüder,
es war vor über zehn Jahren ein ganz gewöhnlicher Besuch im Krankenhaus. Ich hatte erfahren, dass einige aus der Pfarrei dort liegen. Einer schaute mich verwundert an, fast so, als könne er nicht glauben, dass ich wirklich ihn und nicht einen anderen jenem Vierbettzimmer besuchen wollte. Er wirkte etwas hilflos und ich war nicht lang dort. Eine Woche später aber stand er vor meiner Tür. Wieder etwas verschüchtert meinte er, ob ich kurz Zeit hätte. Lange saß er dann bei mir. Viel Auf und Ab seines Lebens hat er mir erzählt, auch dass er vor lauter Enttäuschung über einen Pfarrer vor zig Jahren aus der Kirche ausgetreten sei, obwohl ich ihn doch fast jeden Sonntag ganz hinten in der Ecke sitzen sah. Lange hat er erzählt, auch davon, dass er das jetzt wieder „richten“, also wieder in die Kirche eintreten wolle. Ich hab nicht viel gesagt, einfach nur zugehört. Am Ende meinte er dann:
„Das war seit Jahren das erste Mal, dass mir jemand richtig zugehört hat.“
Später in meiner Zeit als Kurseelsorger in Bad Füssing ist mir ähnliches oft – vielleicht viel zu oft – begegnet. Wie wenig Menschen gibt es doch oft, bei denen sich Menschen angstfrei aussprechen können, nicht stumm bleiben müssen, angesichts dessen was ihre Seele, ihr Leben, belastet. Unser Land ist voller stummer Menschen, die nicht sagen können, was sie sich doch so gern von der Seele reden würden. Es gibt keinen der ihnen zuhören würde. Vielleicht fällt mir daher im heutigen Evangelium ein kleiner Nebensatz besonders auf:
„Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg.“
Wenn ein Mensch spüren soll, dass er reden darf, dass jemand da ist, der wirklich zuhören kann und will, dann muss er weg von der Menge, weg, von allem oberflächlichen und belanglosen Gerede, weg von plumpen Aufmunterungsversuchen, von stummer Gleichgültigkeit und Anonymität.
Das Schicksal des Taubstummen im Evangelium mag schrecklich gewesen sein. Aber nicht minder schrecklich ist es, wenn ich reden will, wenn mir das Herz schier übergeht, aber ich nicht sprechen kann, weder von der Freude, noch vom Schmerz, weil niemand da ist, der mir zuhören würde.
Wie großartig ist es hingegen, wenn Eltern sich die Zeit nehmen, sich abends noch ans Bett der Kinder zu setzen. Auch wenn nicht einmal etwas gesagt wird, kann es einem Kind doch helfen, vor dem Einschlafen noch etwas zu erzählen, das raus muss. Kinder erzählen nie belangloses. Wenn aber dann der Krimi im Fernsehen wichtiger ist, als das, was das Kind noch sagen möchte, dann kann es rasch sein, dass ein Kind auch dann schweigt, wenn es einmal um wichtigeres, um ungleich größere Sorgen geht.
Auch bei manchem Fest oder mancher Party muss es nicht immer die große Stimmungskanone sein, zu der ich mich geselle. Vielleicht wäre es ab und an gut, auch auf die Eine oder den Anderen am Rande zu achten. Vielleicht würde es manchmal reichen, sich einfach ohne große Worte dazuzusetzen.
„Effata“ – „Öffne dich!“ – Dazu braucht es keine großen Worte und schon gar keine altklugen Lebensweisheiten.
„Effata“ – „Öffne dich!“ – Es genügt meist einfach abseits zu schweigen und dabei zu zeigen, dass ich nicht einfach auf Durchzug geschaltet habe, sondern bereit bin, selber den Mund zu halten, um den anderen Menschen zu hören, ihn sprechen zu lassen, wenn er das möchte.
Meine Lieben,
ich bitte Sie alle heute von ganzem Herzen: Achten sie auf die vielen Stummen mitten unter uns. Vielleicht beten Sie auch immer wieder darum, im richtigen Moment schweigen zu können, damit auch heute solche „Effata-Momente“ geschehen können.
So offen zu sein für andere ist nämlich nicht leicht. Aber wenn es uns auch nur hin und wieder gelingt, dann wird uns selbst dabei eines der schönsten Geschenke zuteil, die es auf dieser Welt nur geben kann: die unendlich kostbare Begegnung mit der Seele eines Menschen. Also:
„Effata – öffne dich!“
Amen.
(Foto: pfarrbriefservice.de)