Predigt zum 3. Fastensonntag 2015 – Lesejahr B – Pfarrer Michael Witti
„FREIHEIT“ – was verstehen Sie unter diesem Begriff? – „Ich lebe in einem freien Land. Ich kann tun und lassen, was ich will.“ So würden die meisten vielleicht antworten und manche möchten wohl noch hinzu setzten: „Ich lass mir da nicht dreinreden, lass mir von anderen nicht vorschreiben, wie ich zu leben habe.“ Gerade deshalb verbindet man Religion im Allgemeinen und Kirche im Besonderen oft nicht unbedingt mir „Freiheit“. Eine Vielzahl von Vorschriften, Geboten und Verboten wird da oft von außen angeführt und viele gläubige Christen, v.a. auch Katholiken, werden nicht selten belächelt, wenn sie diesen Wust an Geboten und Verboten nicht schon längst über Bord geworfen haben. Da halten es heute doch viele lieber mit der Kreditkartenwerbung und sagen sich: „Die Freiheit nehm ich mir!“
Die heutige erste Lesung scheint diesen kirchenkritischen Zeitgenossen Recht zu geben. „Du sollst nicht… Du sollst nicht… Du sollst nicht…“ – So heißt es gebieterisch in den Zehn Geboten, wie sie die meisten von uns schon einmal in der Schule auswendig lernen durften, oft ohne wirklich zu verstehen, was gemeint sein könnte. Doch gerade angesichts dieser zehn großen Weisungen Gottes will ich heute das Gegenteil behaupten. Es geht von Gott her hier nicht um die Beschneidung und Einschränkung meiner Freiheit, im Gegenteil: Es geht um die Garantie von Freiheit!
Wenn ich hier in die Runde fragen würde, wie denn das erste Gebot lautet, dann würden wohl einige verschämt zu Boden schauen, andere würden – wie einst gelernt – im Wortlaut des Buches Exodus antworten: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ – So sind wir es gewohnt, bei diesem Text zu zählen. Das Judentum, unsere älteren Brüder und Schwestern im Glauben, zählt hier aber anders. Wenn Sie einen Juden bitten, die zehn Gebote zu nennen, dann wird er zwei unserer Einzelgebote quasi zu einem zusammenfassen. Das aber, was er als erstes Gebot nennt, würde uns christkatholischen Menschen unbekannt sein – obwohl wir es eben in der Lesung auch so gehört haben. Für einen gläubigen Juden nämlich lautet das erste – und damit auch zentrale – Gebot: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“
Am Anfang steht als nicht das erste Aufzählen von Ge- oder Verboten. Am Anfang, als erstes und grundlegendes Gebot, steht, dass Gott sein Volk – damit auch uns heute – befreit hat, dass er nichts anderes will, als FREIHEIT für alle Menschen. Alles, was dann in der Aufzählung an Einzelgeboten folgt, soll helfen, diese Freiheit für die Menschen zu sichern. Dabei könnte man das typisch deutsche „Du sollst…“ vom Hebräischen her genauso gut übersetzen mit „Du wirst doch nicht…“ – dann aber bekommt manches einen ganz anderen Klang. Dann hieße es etwa – frei übersetzt – so:
Ich bin Gott, der dir die Freiheit geschenkt hat, du wirst doch nicht anderen Götter und Götzen nachlaufen, die dich als Mensch wieder unfrei machen. Das sind heute eben nicht nur radikale Sekten und pseudoreligiöse Gruppen. Das kann auch die Besessenheit von Karriereträumen sein, das kann die Verführung zu Luxus und Konsum sein, das „Alles-haben-wollen“, das Vergöttern des tollen Autos, der neuesten Mode, des exklusivsten Fernsehers. Und ich Mensch merke gar nicht, wie ich mich selber mit all diesen Götzen unfrei mache.
Das gleiche gilt für alle anderen Gebote, die das Zusammenleben der Menschen in den Blick nehmen. Auch da heißt es dann sinngemäß: Ich bin Gott, der dir – und jedem anderen Menschen – die Freiheit geschenkt hat, du wirst doch nicht einem anderen nach dem Leben trachten, die Ehe und Familie eines anderen zerstören wollen, oder deine Freiheit missbrauchen, um dem anderen zu schaden, ihn zu zerstören.
Hier zeigen diese uralten Gebote etwas, das eigentlich so einfach – und gerade auch heute doch so schwer ist: Ich darf in Freiheit leben, aber das kann nur gut gehen, wenn ich die Grenzen meiner Freiheit akzeptieren. Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen Menschen beginnt. Nur so ist für alle ein Leben in Freiheit und Würde, in Gleichheit und Geschwisterlichkeit möglich.
Meine Lieben,
wie oft – gerade heute – diese Freiheit missbraucht wird, in die uns Gott gestellt hat, wissen wir nur zu gut. Wenn wirtschaftliche Interessen ohne Regeln, ohne Schranken, oft genug auch ohne Gewissen durchgesetzt werden, dann haben wir eben einige wenige Superreiche in der Welt und ein stetig wachsendes Millionenheer von Armen, die keine Chance bekommen, weil ihre Würde und Freiheit tagtäglich mit Füßen getreten wird von denen, die sich auf die angebliche „Freiheit der Wirtschaft“ berufen. Nicht anders ist es im Kleinen, in der Familie, in der Partnerschaft. Überall dort, wo ein Mensch einen anderen dominieren und damit in seiner Freiheit und Würde beschneiden will, gehen wir Wege der Unfreiheit, Wege der Würdelosigkeit, Wege, die nicht Gottes Wege sind.
Ich bin froh, dass ich diese uralten zehn Gebote habe, auch wenn ich sie erst heute nach und nach verstehe. Sie helfen mir, verantwortlich in Freiheit zu leben, so wie Gott es will, der mir und jedem Menschen eine unveräußerliche Würde geschenkt hat. Er sagt auch zu mir: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dir Freiheit geschenkt hat, du wirst doch nicht diese Freiheit aufgeben wollen…“
Amen.
(Foto: Pfarrbriefservice.de)