was tun wir eigentlich, wenn wir hier Eucharistie feiern? Was bedeutet dir und mir dieses kleine Stückchen Brot, von dem der Glaube sagt, dass es der Leib Christi sei? Ein Bericht des amerikanischen Jesuiten George Williams hat mich letzte Woche sehr berührt. Er hat mir geholfen, dieses Geheimnis des Glaubens ein wenig tiefer zu erfassen wenn er von seinem Leben als Seelsorger erzählt. Er schreibt: „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ – Während ich diese Worte sage, hebe ich die Hostie so hoch, dass die Männer in der Zelle sie sehen können. Die „Kapelle“ des Todestraktes des staatlichen Gefängnisses San Quentin in Kalifornien ist ein alter, fensterloser Duschraum, eingeschlossen in einen schweren Metallkäfig. Dort befinden sich sechs an den Boden angeschraubte, hölzerne Bänke, auf der die Mitglieder meiner Gemeinde sitzen. Ich trage ein Messgewand und eine Schutzweste und stehe in meiner eigenen Zelle, die ungefähr doppelt so groß ist wie eine alte Telefonzelle. Wie vorgeschrieben, habe ich meine Zelle mit einem Vorhängeschloss von innen gesichert. All das macht mich meines Wissens nach zum einzigen Jesuiten in meiner Gemeinschaft, der regelmäßig Messen in einer stichsicheren Weste zelebriert. Über den Köpfen leuchtet ein grelles Licht, das die gewandelte Hostie anstrahlt, wenn ich sie hochhalte. Ich blicke an der Hostie vorbei auf die Männer in der Zelle. Sie sind still und konzentriert. An dieser Stelle der Messe stelle ich mir oft vor, wenn ich da vor den Männern stehe, getrennt durch ein Drahtgitter, wie das Licht Christi aus der Hostie strahlt und die Schatten vertreibt aus dem East Block, San Quentins Todestrakt für Männer… „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ – Diese Worte wurden bei der letzten Mahlzeit eines Mannes gesprochen, der vom Staat zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Es ist seltsam, wie die Worte des Evangeliums im Todestrakt so anders klingen. Jesus, der hingerichtete Gefangene, spiegelt sich in den Augen der Männer, die ebenfalls verurteilt sind zu sterben. Ich weiß, dass Jesus unschuldig war. Und ich weiß, was diese Männer getan haben, um hier in den Zellen als Todeskandidaten zu landen. Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, oft furchtbar brutale Verbrechen; der Stoff aus dem Horror-Filme und Albträume gemacht sind… Aber wenn ich die Hostie hochhebe, sehe ich keine abscheulichen Mörder vor mir. Ich sehe Menschen. Und wenn Er seinen Leib nicht auch für sie hingegeben hat – was ist unser Glauben dann wert? Die Tatsache, dass Seine Liebe bis hinab in die Hölle reicht, gibt meinem Leben seinen Sinn und Zweck. An dieser Stelle bin ich bei der Messe oft zu Tränen gerührt; es ist die Stelle, an der mir dämmert, was für ein Geschenk es ist, hier stehen zu dürfen und Zeuge der Gnade Christi im Sakrament zu sein, hier an diesem dunklen Ort… Beim Friedensgruß geben wir uns durch unsere Käfige hindurch die Hand, der einzige physische Kontakt mit diesen Männern. Sie reichen ihre Hände durch einen 10 auf 30 cm großen Spalt im Gitter, um meine Hand zu schütteln. Ich bin oft überrascht, wie sie meine Hand ergreifen – es gibt so wenige menschliche Berührungen im Todestrakt. Auf gewisse Weise fühlt es sich für mich so an, als würden sie versuchen, sich an einem Stück anderer Realität festzuhalten, anders als die Kälte und Leblosigkeit, in der sie leben. Der Handschlag eines Serienmörders, eines Kinderschänders, eines Folterers – er fühlt sich genauso an wie jeder andere Handschlag… …meine Arbeit im Gefängnis bedeutet nicht, dass ich Gefängnisse gutheiße. Es heißt, dass ich dort hingehe, wo die Kirche oft nicht ist. Wenn ich nicht hingehe, wer tut es dann, frage ich mich. Was würde ich erreichen, wenn ich gegen Gefängnisse kämpfen würde, statt hineinzugehen, um Gottesdienst für die Gefangenen (und bis zu einem gewissen Grad auch für die Wärter) zu halten? … ich bekäme nie die Gelegenheit, das Allerheiligste Sakrament als Zeichen des Lichts und der Hoffnung in einer menschlichen Hölle hoch zu halten.
Meine Lieben,
dieser Bericht hat mich eines sehr deutlich, fast schmerzlich, spüren lassen: Jesus geht auch heute noch an Orte, an die ich selber wohl nie hingehen würde. EE ist auch heute noch für Menschen da, von denen ich momentan nicht einmal weiß, ob ich ihnen die Hand schütteln würde. SEINE Liebe, SEIN Erbarmen, sind wirklich grenzenlos. ER provoziert mich so, denn ich behaupte ja von mir als Christ zu leben und in seinen Fußspuren gehen zu wollen. ER sagt heute auch zu mir: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben…“ Aber bin ich bereit, diesen Weg zu gehen?
Amen.
(Text: Witti/Bild und urspr. Bericht: katholisch.de)