Meine Lieben,
eines Sonntags hält ein Aushilfspriester die Messe. Nach dem Kreuzzeichen schaut er ein wenig verdutzt, klopft ans Mikrophon und sagt etwas hilflos: Mit der Lautsprecheranlage stimmt etwas nicht. – Prompt antwortet die Gemeinde: „Und mit deinem Geiste!“
Zugegeben – das war jetzt ein Witz, aber wird nicht gerade im Gottesdienst vieles gesprochen und gebetet, ohne dass man groß darüber nachdenkt. Grundsätzlich ist dagegen auch nichts einzuwenden. Wenn aber das Ritual nichts mehr mit dem tatsächlichen Leben der Menschen zu tun hat, kann es grotesk werden – und das nicht nur beim Witz mit dem Mikrophon. Manchmal frage ich mich schon: „Müsste man da nicht vieles anders machen?“
Diese Frage begegnet mir immer wieder, sei es, wenn es in der Enzyklika „Laudato si“ um ökologische und soziale Fragen geht, sei es mit dem päpstlichen Schreiben „Amoris laetitia“, bei dem gerade die Frage nach den wiederverheirateten Geschiedenen viele Menschen sehr bewegt. Für letzteres hat ja Papst Franziskus vor einigen Jahre die Gläubigen selber weltweit befragt. Ich erinnere mich an spannende Diskussionen. Mir kam dabei das Wort von Franziskus in den Sinn, dass die Sakramente keine „Belohnung für die Vollkommenen“ seien, sondern „Heilmittel“ für alle Menschen, die ihrer bedürfen. „Da muss sich etwas ändern!“ Oft hab ich das gehört. Aber es lag immer auch sehr viel Wertschätzung darin. Die Leute spürten, dass ihr Leben die Kirche wirklich interessiert. Papst Franziskus hat manche Hoffnung dann ja auch erfüllt, ohne die Würde der Ehe zu schmälern.
„Da muss sich etwas ändern…“ – Ich frage mich da aber auch: „Was hätte wohl Jesus bei all diesen Gesprächen und Diskussionen gesagt? Wie hätte er auf die Forderung reagiert, dass dieses und jenes sich auch in seiner Kirche immer wieder ändern müsse?“ – Im Evangelium des heutigen Sonntages fordert er mich angesichts all dieser Erlebnisse ziemlich heraus: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben.“ – Das wollte ich jetzt vielleicht nicht unbedingt hören. Das ist doch Wasser auf die Mühlen all derer, die sich ohnehin mit jeder Veränderung schwer tun.
Aber Jesu Rede geht ja noch weiter: Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. – Ich soll also ausdrücklich nicht so sein, wie die. Es geht also nicht darum, mit einem Berg von Geboten und Verboten alles bis ins Kleinste zu reglementieren. Gerechtigkeit im Sinne Jesu ist kein Schwarz-Weiß-Denken. Sie lässt Platz für die vielen Farben und Schattierungen des Lebens. Wenn unsere Gerechtigkeit viel größer sein soll, als die Gebots- und Verbots-Moral dieser Pharisäer und Schriftgelehrten, dann muss auch das unveränderliche Gesetz, von dem Jesus spricht, größer sein, als all die Regelungen, Anweisungen und Rituale, die in Jahrhunderten gewachsen sind, die auch ich oft für unveränderlich halte und gleichzeitig doch auch in Frage stelle.
Jesus geht noch weiter: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: … Ich aber sage euch: …“ Da sagt es sinngemäß auch Jesus: „Das muss anders werden…,“ – In Jesu Augen ist es nicht genug, wenn ich nur aus Angst vor möglicher Strafe meinem Bruder nicht dieses oder jenes an den Kopf werfe. Er fragt mich viel grundsätzlicher: Wie stehst du zu ihm? Was steht möglicherweise noch zwischen euch? Beißt du dir vielleicht nur vordergründig auf die Zunge, um keinen Streit zu entfachen, oder nimmst du ihn – so wie er ist – als „Bruder“ wirklich an? Jesus geht es um meine ganz grundsätzliche Einstellung zu mir, zum anderen und zu Gott, nicht um zig Regeln für einzelne Worte und Taten.
Meine Lieben,
„Da muss sich etwas ändern…“ Ich verstehe die Menschen die das beim Blick auf unsere Kirche mit großer Sympathie, aber auch mit ebenso großem Nachdruck sagen. Ich verstehe aber auch jene Christen, die davor warnen, dabei nur ja nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Beide Sichtweisen gehören zu unserer Kirche. Beides fordert heraus. Eines aber muss sich unbedingt im Sinne Jesu ändern:
ICH muss bereit sein, mich selbst immer wieder in Frage zu stellen. ICH muss meine eigenen Ansichten immer wieder hinterfragen, um nicht so hart zu werden, wie einst die Pharisäer und Schriftgelehrten. ICH muss bereit sein, auch bei den anderen das Gute zu sehen. Dann kann ich spüren, wie Jesus es wohl gemeint hat und wie Paulus es im Römerbrief überliefert:
„Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes.“
Amen.
(Text: Witti/Bild: Limmer)