Predigt zum 1. Adventssonntag 2014 (Pfr. Michael Witti)
Meine Lieben,
„Reiß doch den Himmel auf, und komm herab…“ – So vertraut uns diese Zeilen im Advent auch sein mögen, sie passen so gar nicht zu dem, wie wir den Advent für gewöhnlich so feiern. Advent, das ist für uns doch eher Glühwein am Bratwurststand, jede Menge Lichterketten, unzählige Veranstaltungen, die dazu einladen, von Besinnung zu Besinnung zu hetzen.
Manchmal hab ich den Verdacht, dass wir den Advent, den wir nun beginnen, vor allem deshalb so sehr mit allem möglichen und noch mehr unmöglichem überfrachten, um nur ja nicht mit seiner eigentlichen und sehr kritischen Botschaft in Kontakt zu kommen, so wie sie uns der Prophet Jesaja heute zumutet:
„Reiß doch den Himmel auf, und komm herab… wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden. Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid… Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich auf, festzuhalten an dir… du hast… uns der Gewalt unserer Schuld überlassen…“
Bei diesen Worten bleibt so gar nichts übrig, von der kalorienschweren süßlichen Plätzchen-Atmosphäre. Hier redet einer, der auch uns heute zutiefst provozieren, aufrütteln will, in unserer satten Selbstzufriedenheit und Selbstverliebtheit.
Ähnlich aufrüttelnde Worte von geradezu schmerzlicher Klarheit fand auch Papst Franziskus am vergangenen Dienstag bei seiner geradezu epochalen Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
„Es nicht hinnehmbar, dass das Mittelmeer zu einem Massenfriedhof wird“, so der Papst: „Es ist notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen… Auf den Kähnen, die täglich an den europäischen Küsten landen, sind Männer und Frauen, die Hilfe brauchen“, sagte Franziskus. In der Europäischen Union fehle es aber an gegenseitiger Unterstützung. Dabei könnten die mit der Einwanderung verbundenen Probleme nur mit Gesetzen bewältigt werden, welche die Rechte der europäischen Bürger schützten und zugleich eine Aufnahme der Migranten garantierten. Dazu seien „korrekte, mutige und konkrete politische Maßnahmen“ notwendig, sagte der Papst.
Franziskus rief zudem zu einer Rückbesinnung auf europäische Werte auf, etwa die Achtung der Menschenwürde sowie der Solidarität mit den Armen. Die großen Ideale Europas seien etwas verloren gegangen. Viele Menschen seien heutzutage einsam: Etwa Alte, Arme, Jugendliche ohne Zukunftschancen oder auch Einwanderer. Diese Einsamkeit sei durch die Wirtschaftskrise noch verschärft worden.
Der Mensch müsse wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt werden, bei der heute technische und wirtschaftliche Fragen vorherrschten, sagte der Papst. Ansonsten sei der Mensch in Gefahr, zu einem Objekt herabgewürdigt zu werden. Dadurch werde er wie ein Konsumgut behandelt, das „ohne viel Bedenken“ ausgesondert werde, wenn es diesem Mechanismus nicht mehr zweckdienlich sei. Der Papst sprach zudem den Hunger in der Welt: „Es ist nicht hinnehmbar, dass jeden Tag Menschen sterben, während Tonnen von Lebensmitteln auf den Müll geworfen werden“. Franziskus führte auch die Gewalt gegen Christen an und warb für einen verstärkten Dialog zwischen europäischen und kirchlichen Institutionen.
Meine Lieben,
„Reiß doch den Himmel auf und komm herab…“ – Muss der Advent wirklich gänzlich zu dieser süßlich-kitschigen Terminfülle verkommen, zu der ihn viele nur allzu gern machen? Oder haben wir Christen noch den Mut, wirklich „wachsam“ zu sein und mitten in der Welt mit „Adventus Domini“, mit der „Ankunft des Herrn“ hier und heute zu rechnen? Wenn wir uns darauf einlassen, fordern uns diese Tage aber gewaltig heraus.
Dann gilt es, die Stimme zu erheben, wo dumpfe Parolen – auch unter uns und längst in der Mitte der Gesellschaft – Menschen diskreditieren und ihre Würde mit Füßen treten.
Dann gilt es, konkrete Nöte in unserem direkten Umfeld und weltweit zu sehen und entschieden zu handeln.
Dann gilt es, ein Gespür dafür zu entwickeln, wo Menschen einsam sind, sich nach eine offenen Ohr, nach etwas Nähe sehnen.
Ich weiß, dass das schwierig ist – und ich finde es furchtbar, dass gerade im Trubel dieser angeblich so „staaden“ Tage dafür oft noch weniger Zeit bleibt, als sonst während des Jahres. Ich weiß, wie viele mich schief anschauen, wenn ich manches in diesen Tagen so gern aus meinem Kalender streichen würde, um das einzig wichtige nicht völlig aus den Augen zu verlieren:
ADVENTUS DOMINI – „Ankunft des Herrn“ ereignet sich nicht im Trubel und in der Hetze. ER kommt dort an, wo ihn keiner sucht. ER wird dort Mensch, wo alle anderen nur achtlos vorübereilen. ER will mich heute dort aus Menschenaugen anschauen, wo ich viel zu oft nur mein Gesicht abwende.
ADVENT ist eine Herausforderung! – Bin ich bereit, sie anzunehmen?
Amen.