Pfarrbrief

2 Novembergedanken Warum es manchmal gut sein kann, an den Tod erinnert zu werden „Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor“, so beginnt Erich Kästner sein Gedicht über den Monat November. Er hat ja Recht. Da ist zum einen die Natur. Kästner beschreibt sie für den November so: „Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben. Die Wälder weinten. Und die Farben starben. Nun sind die Tage grau wie nie zuvor. Und der November trägt den Trauerflor.“ Ganz so grau habe ich nicht jeden November erlebt. Doch diesem Monat haftet einfach das Gefühl von Dunst und Nebel, Grau und Ungemütlichkeit an. Das mag daran liegen, dass dieser Monat reich gefüllt ist mit Totengedenktagen: Allerseelen, gefolgt vom Volkstrauertag und dem Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt. Auch das hat Erich Kästner in Reime gefasst: „Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor. Die letzten Kränze werden feilgeboten. Die Lebenden besuchen ihre Toten. Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor. Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor. Und der November trägt den Trauerflor ...“ Vielleicht ist es ganz gut, dass es einen Monat im Jahr gibt, der eben nicht so voll Leben strotzt. Ein Monat, der eigentlich ein Fingerzeig auf den Tod ist, der jedem bevorsteht. Ein Monat, der uns wie kein anderer vor Augen führt, wie die Kräfte scheinbar schwinden und mit ihnen das satte Leben. Aber Moment mal, vielleicht ist der November ja genau der Monat, der am meisten mit dem Leben zu tun hat. Der Tod gehört wie die Geburt und die verschiedenen Alter zum Leben dazu. Doch der Tod und die Gedanken an ihn werden gern verdrängt. Das ist verständlich. Aber nicht sinnvoll. Erst das Wissen um den Tod lässt einen das Leben doch mehr schätzen, wohlwissend, dass es kostbar ist. Zu schade, um nur irgendwie hinter sich gebracht zu werden. Zu wertvoll, um es nutzlos zu verplempern. In der Bibel gibt es einen Psalm, der diesen Vers beinhaltet: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns. Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Dieser Vers aus dem Psalm 90 ist mir in guter Erinnerung geblieben. Es ist nicht so, dass ich jetzt ständig den Tod vor Augen habe. Und ganz ehrlich: Ich möchte jetzt auch noch nicht von dieser Erde abtreten müssen. Was ich möchte, ist: jeden Tag auf dieser Erde so zu leben als wäre es mein letzter. Mit diesem Blick auf meine eigene Sterblichkeit, gehe ich behutsamer mit mir und meinen Mitmenschen um. Ich möchte jeden meiner Tage so leben, dass er Bestand hat für die Ewigkeit. Genaugenommen ist jeder Tag meines Lebens schon Teil der Ewigkeit, nur eben in einem anderen Raum. Andrea Wilke; Quelle: Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Bonn, www.katholische-hörfunkarbeit.de, In: Pfarrbriefservice.de

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