Hochwürdigster Herr Bischof,
meine Lieben,
„Heute schon die Welt verändert?“ – Mit dieser Frage konfrontiert uns am heutigen Sonntag das bischöfliche Hilfswerk MISEREOR. Im Rahmen dieser Aktion, bei der die deutschen Katholiken heuer schon zum 60. Mal zugunsten von Hilfsprojekten für die Ärmsten der Armen spenden, ist ja auch Bischof Lumen Monteiro hier in unser Bistum gekommen. Heute feiert er hier mit uns den großen Gottesdienst zur Bauernwallfahrt. Er vertritt seine indische Heimat, auf die MISEREOR heuer ganz besonders unseren Blick lenken will.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Diese Frage lenkt also einerseits unseren Blick auf Indien und viele andere Länder des asiatischen Kontinents, aber auch auf Afrika, Lateinamerika, Ozeanien und all die vielen anderen Krisenregionen und Armutsgebiete unserer Erde. Diese Frage erinnert uns daran, dass wir auf der einen Erde letztlich Schwestern und Brüder aller Menschen sind; dass die eine Erde unser aller gottgeschenkte Heimat ist.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Wenn wir diese Frage heute wirklich ernst nehmen, dann reicht es nicht, nur auf „die da oben“ zu schauen und zu warten, dass andere die großen Probleme unserer Erde in den Griff bekommen und die Dinge zum Besseren wenden.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Diese Frage gilt zuallererst Dir und mir ganz persönlich, in Deinem und meinem Leben. An Dir und an mir, an jeder und jedem einzelnen von uns hier entscheidet es sich, welche Welt wir einst den Generationen unserer Kinder und Kindeskinder übergeben können.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Natürlich ist bei dieser provokanten Frage die Versuchung groß, die allzu bekannte hilflose Gegenfrage zu stellen: „Was kann ich denn da schon groß tun?“
Die Wallfahrt der Bauern, die heuer ja bereits zum zehnten Mal stattfindet und die immer wieder die großen und aktuellen Fragen von Euch allen aufgegriffen hat, diese Bauernwallfahrt hier und zeigt uns, dass wir sehr viel tun können. Als Christen in der Verantwortung vor Gott und den Menschen, glaubend mit Kopf, Herz und Hand, zeigt ja gerade Ihr Bauern uns allen was heute schon möglich ist, was mit Mut, Engagement und Vertrauen noch möglich sein könnte.
Ihr produziert unsere Lebensmittel, unser kostbarstes Gut, „unser tägliches Brot“, um das wir mit jedem Vaterunser beten.
Aber Jahr für Jahr landen weltweit 1,3 Milliarden Tonnen von Brot und anderen Lebensmitteln, ohne dass sie verdorben wären, auf dem Müll.
Hier in der EU wird ein Drittel aller einwandfrei genießbaren Lebensmittel weggeworfen. Für den größten Teil dieser unglaublichen Verschwendung sind die privaten Haushalte verantwortlich.
Das ist eine beschämende Respektlosigkeit gegenüber Euch allen, die Ihr diese Lebensmittel für uns alle produziert.
Das ist eine beschämende Respektlosigkeit gegenüber Millionen von Menschen, denen nach wie vor in dieser Welt, das nötigste zum Leben fehlt, die hungern und dürsten nach sauberem Wasser und Brot, nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Das ist eine beschämende Respektlosigkeit gegenüber Pflanzen und Tieren, gegenüber den begrenzten Ressourcen dieser Erde.
Das ist eine beschämende Respektlosigkeit gegenüber Gott selber, der uns den Reichtum dieser Erde schenkt, die alle Menschen satt machen könnte, wenn die Menschheit in ihrer schier unstillbaren Gier nicht so unmenschlich geworden wäre.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Allein schon das Beispiel unserer eigenen beispiellosen Verschwendung von Lebensmitteln könnte hier ein Anfang sein.
Ein sehr gutes Beispiel dafür liefert unser Nachbarland Dänemark. Durch das großartige Engagement einzelner Menschen, die ihre Verantwortung wahrgenommen haben, konnte dort die Verschwendung von Lebensmitteln in nur fünf Jahren um 25 % gesenkt werden. 2008 startete in Dänemark Selina Juul die Facebook-Seite „Stoppt die Lebensmittelverschwendung“. Dort gibt sie auf den ersten Blick ganz simple Ratschläge:
• Wenn du keine Zeit für eine Einkaufsliste hast, fotografiere am Morgen den Inhalt deines Kühlschranks.
• Kauf die einzelnen Bananen, statt welche vom Bündel zu nehmen. Sie schmecken genauso gut und werden sonst meist nur weggeworfen.
• Nimm statt einem großen Einkaufswagen einen kleinen Einkaufskorb und du kaufst bewusster und weniger.
Auf den ersten Blick sind das Nichtigkeiten, aber sie hatten unglaublichen Erfolg. 2014 wurde Selina Juul „Dänin des Jahres“. Sie spricht heute u.a. auf dem „World Safe Food Congress“. Sie hat – gemeinsam mit anderen – einen Bewusstseinswandel angestoßen. 83 % der Dänen bemühen sich heute aktiv, die Verschwendung von Lebensmitteln zu stoppen.
Ein anderes Beispiel, ebenfalls aus Dänemark zeigt, wie man mit dem Einsatz gegen diese Verschwendung sogar Geld verdienen kann.
Ein paar junge Leute aus der Elektronik-Branche haben ein Start-up-Unternehmen gegründet. Mit viel Kreativität haben sie eine App fürs Handy programmiert. Die zeigt Verbrauchern, wo man in Restaurants oder Geschäften übrig gebliebene Lebensmittel, oder auch ganze Menüs, in bester Qualität gegen Geschäftsschluss extrem verbilligt kaufen kann, bevor sie einfach nur weggeworfen werden. Waren es anfangs v.a. Studenten mit schmalem Geldbeutel, die dieses Angebot nutzen, so sind es zwischenzeitlich viele, die damit sparen und respektvoll die kostbaren Ressourcen dieser Erde schonen.
„Heute schon die Welt geändert?“ – Bis hinein in diese ganz konkreten alltäglichen Dinge hält uns das bischöfliche Hilfswerk MISEREOR mit dieser Frage heute einen Spiegel vor.
Immer mehr Verbraucher fragen auch in unserem Lande heute sehr bewusst danach, woher unsere Nahrung kommt und wie sie produziert wird. Immer mehr Menschen fragen nach dem Wohl der Tiere, nach der Belastung der Böden und des Grundwassers. Immer mehr Menschen in unserem Lande erkennen den Wert unserer Heimat, die Gott uns in unbegreiflicher Liebe geschenkt hat, damit wir von ihr Leben, aber auch damit wir sie für zukünftige Generationen auf dem einen Planeten Erde erhalten.
„Heute schon die Welt verändert?“ – Diese Frage gilt heute bei diesem Wallfahrtsgottesdienst auch Euch, den Bäuerinnen und Bauern, Euch, die ihr gerade mit Euren bäuerlichen Familienbetrieben die Landschaft unserer Heimat prägt und pflegt.
Dabei müsst ihr oft genug auch kämpfen um gerechte Preise, um Grund und Boden, dessen Pachtpreise in Zeiten niedriger Zinsen immer mehr steigen. Ihr müsst kämpfen, wenn wenige inter¬na¬ti¬o¬na¬le Konzerne eure Betriebe mit maßgeschneidertem Saatgut und den dazugehörigen Dünge- und Spritzmitteln wirtschaftlich immer mehr in der Hand haben wollen, um Euch die Preise diktieren zu können und Abhängigkeiten zu schaffen.
Ihr müsst kämpfen, weil immer noch zu viele Menschen nach der Devise „Geiz ist geil“ leben und lieber im Supermarkt zu Billigprodukten aus industrieller Landwirtschaft greifen, so lange fürs Auto draußen am Parkplatz das Beste und Teuerste gerade noch gut genug ist. Ihr habt vielfach zu kämpfen, egal ob Ihr in Euren bäuerlichen Betrieben konventionell oder biologisch arbeitet.
In all diesen Fragen und Sorgen, inmitten einer Welt, die vielfach bedroht und doch in unsere Hände gelegt ist, dürfen wir Christen dem Wort des Propheten Jeremia aus der Lesung vertrauen:
„Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“
Das kann in all den Fragen und Sorgen von heute für Euch Bäuerinnen und Bauern heißen:
Hört in Euch selber hinein! Hört in Euch Gottes Stimme, wenn Ihr auf Eure Äcker, Wiesen und Felder schaut, die in Eure Hand gegeben letztlich doch auch unser aller Heimat sind.
Hört in Euch Gottes Stimme, wenn Ihr auf die Tiere schaut, die sicherlich uns allen einmal als Nahrung dienen, die aber dennoch Würde und Wert haben, weil auch sie Gottes wunderbare Geschöpfe sind.
Hört mit den Worten des Jeremia in Euch hinein und lass Gottes Geist wirken. ER hat auch Euch alle mit Kreativität, Kraft und Fantasie begabt, damit auch Ihr hier bei uns – gemeinsam mit vielen anderen – den Menschen wieder den Wert unseres täglichen Brotes zeigt, damit ihr den Menschen, die sich in ihrem Leben oft schon so weit von der Schöpfung Gottes entfernt haben, wieder den Wert dessen erfahrbar macht, wovon wir alle leben.
In diesem Sinne darf ich Bäuerinnen erleben, die jedes Jahr vor den Faschingsferien bei uns in Heiligkreuz in die Grundschule gehen. Sie bringen ein fantastisches gesundes Frühstück mit. Die Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse laden sie zum probieren und essen ein und sie erzählen ihnen, wie das alles hier in unserer Heimat wächst und geerntet wird. Die Kinder lernen hier mehr Wertschätzung als im besten Sachkundeunterricht. Ich selber war heuer wieder dabei – und wenn ich nicht kann, kommt jemand aus unserem Seelsorgeteam dazu. Wir beten mit den Kindern an diesem reichen Tisch, weil wir spüren, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Das ist eine Antwort auf die Frage: „Heute schon die Welt verändert?“
Ich bin auch immer wieder bass erstaunt, wenn an einem „Tag des offenen Hofes“ unzählige Menschen geradezu herbeiströmen, um zu sehen, was letztlich Ihr alle leistet, wie Ihr Euch bemüht, Eurer großen Verantwortung für die Schöpfung – und letztlich für uns alle – gerecht zu werden. Hier wird – ähnlich wie bei den Beispielen aus Dänemark – Bewusstsein geschaffen. Auch das ist eine Antwort auf die Frage: „Heute schon die Welt verändert?“
Eine ganz große Freude ist es heuer für mich, dass ich – gemeinsam mit vielen anderen Engagierten – heuer bei mir in Feichten am 23. September für das Bistum Passau den „Ökumenischen Schöpfungstag“ ausrichten darf. „Von meinen Früchten könnt ihr leben…“ Unter diesem Leitwort aus dem Propheten Hoseja wollen wir Erwachsenen und Kindern den Wert der Biodiversität mit vielen Aktionen zeigen. Der Artenreichtum von Tieren und Pflanzen soll als unser aller erhaltenswertes Erbe erkannt werden können. Alte Obstsorten, die Vielfalt der Kreaturen, das Wunder der Schöpfung soll Menschen da zum Staunen bringen und schließlich auch zum Beten und zum Danken, wenn dieser Tag dann in einen großen ökumenischen Gottesdienst mündet. Ich würde mich freuen, wenn viele von Euch auch kommen würden. Auch das kann dann im Glauben eine Antwort sein auf die Frage: „Heute schon die Welt verändert?“
Meine Lieben,
gerade als Christen dürfen wir die Augen nicht vor den Fragen und Problemen unserer Welt verschließen. Aber wir dürfen auch immer sicher sein, dass wir angesichts all dieser Fragen und Probleme eine sichere Hoffnung haben – und diese Hoffnung hat für uns einen Namen: JESUS CHRISTUS
ER ist es, den Maria uns hier in Altötting als Gottes Mensch gewordene Liebe zeigt.
ER ist es, der Euch allen so viel Kraft und Fantasie geschenkt hat, dass Ihr Bäuerinnen und Bauern – gemeinsam mit uns allen – immer wieder im Kleinen hoffnungsvoll Neues wagen dürft.
Ihr müsst Euch nicht hilflos fühlen, angesichts so vieler Herausforderungen und Bedrohungen hier bei uns und weltweit. Ihr dürft mutig nach vorne schauen, denn auf die Fürbitte Marias ist CHRISTUS selber an Eurer Seite, wenn Ihr mutig mit Euren Höfen und Eurem Land, unser aller Heimat und Zukunft mitgestaltet.
Mit einem Lied, das mich schon begleitet, seit ich mein Studium begonnen habe, möchte ich Euch dazu mitgeben. Es soll Euch Mut machen und immer wieder nach vorn schauen lassen, auch wenn Euch viele vielleicht für Spinner und Träumer halten. Ihr träumt den Traum Jesu von einer besseren, einer menschlicheren einer solidarischen und barmherzigen Welt. Der Text dieses Liedes stammt von Bischof Dom Helder Camara aus Brasilien. Er lautet:
„Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn, der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träumt unsern Traum!“
Amen.
(Text/Foto: Witti)