„Unser tägliches Brot gibt uns heute…“ – Ernstgemeint?

Predigt 26. Sonntag im Jahreskreis 2016 – Lesejahr C

img_0046_b_1Meine Lieben,

„Unser tägliches Brot gib uns heute…“ – So werden wir nachher auch in diesem Gottesdienst wieder beten. So beten wir ganz gewohnheitsmäßig, automatisch, oft ohne über das Gesagte wirklich nachzudenken.

Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, dass sich diese Vaterunser-Bitte von mir leicht übergewichtigem Deutschen in den Ohren anderer wie Hohn anhören mag. Do da fiel mir gestern ein Text des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff in die Hände. Er, der in jungen Jahren hier in München studiert hat, überschrieb seine Zeilen „Das Vaterunser der Armen und der Hunde“. Der Text lautet:

Es ist früh, wie jeden Morgen, Kinder streiten sich mit Hunden um Mülltonnen. Alles wird durchgewühlt, ’rein und ’raus. Speisereste aus dem Müll, sie teilen sich mit Hunden das verfaulte Brot aus dem Müll.

Eine Hundewelt ohne Herz. Das ist die Art und Weise, die Gott gefunden hat, das Gebet dieser armen hungrigen Kinder: »Unser tägliches Brot gib uns heute« aufzunehmen.

Von diesem Tag an war das Brot auf unserem Tisch – ich sage die Wahrheit, ich lüge nicht – nicht mehr dasselbe. Dank den Armen war es bitter geworden, voller Lästerungen der Armen, die für Gott Bitten sind. Und erst dann wurde es süß und gut, als es geteilt wurde mit den hungernden Kindern und Hunden.

Meine Lieben,

was würde sich ändern, wenn Dir und mir und vielen anderen in unserem Lande, das Brot auf Tisch in diesem Sinne „bitter“ werden würde? Ich glaube, ich würde dann ehrlicher beten können „Unser tägliches Brot gibt uns heute…“ – und ich würde ehrlicher handeln können, als Christ mitten in dieser Welt. Aber es schmeckt nicht bitter, das Brot auf meinem Tisch. So sehe ich zwar die Bilder allen Elends dieser Welt in den Medien, aber ich ändere doch nichts. Ich geh nach den Nachrichten zum Kühlschrank und gönne mir noch was. Schließlich war es ja ein langer und ach so harter Tag…

Was bleibt ist der tiefe, unüberwindliche Graben, von dem das Evangelium erzählt: der Graben zwischen dem armen Lazarus und dem reichen Mann, der schon längst vor dem Tod dieser beiden grausam mitten in dieser Welt existiert hat; der Graben zwischen der Festung Europa und den „Lazarussen“ unserer Tage. Gut, Europa ist ein humanistischer Kontinent. Wir erschießen niemanden an unseren Außengrenzen, auch wenn Radikale, die nun auch in Parlamente gewählt werden, dies – süffisant lächelnd – fordern. Wir lassen die Menschen einfach seit Jahren im Mittelmeer ertrinken. Erschießen geht gar nicht, massenhafter Tod durch unterlassene Hilfeleistung ist aber offenbar kein Problem für das alte Europa, das so stolz ist auf sein christlich-abendländisches Erbe und auf den Humanismus der Aufklärung, der einst die Menschrechte brachte.

Aber ähnlich tiefe, unüberwindliche Gräben durchziehen ja auch Europa selbst. Während die Bundesrepublik und andere Länder von der großen Krise – ausgelöst durch Banken und Spekulationen – kaum wirklich etwas gemerkt haben, liegt in andren Ländern der EU die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 % und Perspektiven fehlen. Die europäische Wertegemeinschaft verkommt zum Stammtisch für Wirtschaftsabsprachen. Lobbyisten haben oft mehr Einfluss auf die europäische Gesetzgebung, als der betroffene Bürger. Dass das überall auf dem Kontinent derzeit radikalen Populisten in die Hände spielt, nimmt man offenbar billigend in Kauf.

Aber auch unser eigenes Land wird durchzogen von tiefen, unüberwindlichen Gräben. Die soziale Schere klafft immer noch weiter auseinander. Der Bildungsgrad von Kindern und Jugendlichen ist immer noch vom Einkommen ihrer Eltern abhängig. Banken werden staatlich gestützt – etwa das Milliardengrab“ der Bayerischen Landesbank. Für offensichtliches Versagen wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Bei wie vielen „Lazarussen“ unseres Landes wäre dieses Geld nicht besser, weil sozialverträglicher und nachhaltiger angelegt gewesen?

Meine Lieben,

der heutige Caritas-Sonntag will uns all das vor Augen führen. Er wird es nicht schaffen, uns das Brot „bitter“ zu machen. Er wird es nicht schaffen, uns und viele anderen wirklich zum Umdenken zu bringen, denn sonst hätten wir die Macht, als Bürger dieses Landes vieles anzupacken.

Die heutige Kirchensammlung und die Haussammlung der Caritas in der kommenden Woche können ein kleiner Anfang sein. Und vielleicht beten wir auch heute das Vaterunser ein wenig bewusster. Und vielleicht schmeckt auch daheim der nächste Bissen Brot ein wenig bitterer, weil er uns in Jesu Namen an die erinnert, die immer noch auf der anderen Seite dieses tiefen und unüberwindlichen Grabens sitzen.

Amen.

(Text: Witti/Foto: Limmer)

 

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