„Verreckt“ Kirche an ihrer Sprache? (Predigt Pfr. Michael Witti)

img_1244Predigt zur Nachtwallfahrt nach Kaltenbrunn (Tirol)

am 9. September 2016

Meine Lieben,

„Himmel, Herrgott, Sakrament…“ – Das ist zum einen ein alter bayerischer Fluch, den man vielleicht auch hier in Tirol kennt, aber nicht nur das. „Himmel, Herrgott, Sakrament…“ – Das ist zum anderen auch der Titel eines Buches, das die Bestsellerlisten gestürmt hat. Geschrieben hat es ein Kollege von mir, Rainer Maria Schießler. Er ist Pfarrer im Glockenbachviertel mitten in der Münchner City. Ich hab ihn kennengelernt bei der Vorbereitung von ZDF-Fernsehgottesdien­sten. Er übertrug einen aus seiner Gemeinde, ich bin im Bistum Pas­sau für alle Übertragungen verantwortlich. Schießler ist ein Unikum. Im Urlaub kellnert er im Schottenhammel auf dem Münchner Oktoberfest und spendet den Lohn dann für soziale Zwecke. In vielen Talkshows ist er ein gern gesehener Gast mit Niveau und Unterhaltungswert. Im Bayerischen Fernsehen moderiert er eine eigene Sendung. Vor allem aber ist er Pfarrer von zwei Großstadtgemeinden – und seine Kirche ist nicht nur beim Fernsehgottesdienst voll.

Das was auf den ersten Blick wie ein urbayerischer Fluch erscheint ist deshalb auch nur der erste Teil seines Buchtitels. Vollständig lautet er: „Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt Austreten.“ Schießler bringt damit – mitten aus dem Leben heraus –  auf den Punkt, was auch mir ein Herzensanliegen ist. Wie können wir Christen Jesu Botschaft für die Menschen von heute lebendig spürbar werden lassen? Wie kann durch uns diese unglaubliche und unüberbietbare Botschaft des Evangeliums heute die Herzen von Menschen berühren? Ich denke, hier kann uns auch Maria, die „Mutter der Kirche“, hilfreich sein, wenn wir nur bereit sind, uns als Kirche, als Pfarrgemeinde, als Christinnen und Christen auch helfen zu lassen.

Wenn mir nämlich „Himmel“, „Herrgott“ und „Sakrament“ wirklich etwas bedeuten, wenn das wirklich die großen Kraftquellen in meinem Leben sind, dann muss man das doch auch an meinem Auftreten Christ, an unserem Auftreten als Kirche, mitten im Leben spüren können. Wenn nicht, dann laufen wir Gefahr, dass unser blasses Auftreten nur das enttäuschte Austreten vieler Menschen befördert. In seiner unnachahmlichen Art meint mein Mitbruder Schießler da ganz lapidar: „Kirche, mach dich halt locker!“

Manche Mitbrüder, die nicht wirklich mitten im Leben mit ganzem Herzen bei der Sache sind, nennt er „Schlafwandler“ und „Pastoraltechnokraten“. Und er erinnert mich dabei an Papst Franziskus, der ja auch wiederholt vor herzlosen Religionsfunktionären warnte.

„Kirche, mach dich halt locker!“ – Das heißt für mich: Schau auf Jesus – schau auf Maria – und lerne mitten im Leben begeisternd zu glauben!

Aber wo sind wir denn als Kirche mitten im Leben zu finden? Und – falls wir dort auftauchen – wie werden wir von den Menschen wahrgenommen? Hier hat mich heuer im Urlaub ein zweites neuerschienenes Buch sehr beschäftigt. Ohne es zu wollen hat der junge Kommunikationsberater Erik Flügge auch einen Bestseller gelandet mit dem Titel: „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Spache verreckt.“

Der Titel mag etwas reißerisch sein, aber er machte mit neugierig. Als Radioprediger, Beauftragter für Rundfunk und Fernsehen und vor allem auch als Predigtlehrer erlebe ich oft genug, wie sehr wir Christen mit Floskeln uns Phrasen um uns werfen, die niemandem zu Herzen gehen, weil niemand sie wirklich versteht. Als Prediger ringe ich selber ja quasi täglich darum, Gottes Wort im Menschenwort lebendig zur Sprache zu bringen. Flügge zeigt dabei einiges, das uns allen als Christen zu denken geben sollte. Er schreibt:

„…ich halte es nicht aus, wenn ihr sprecht. Es ist so oft so furchtbar. Verschrobene, gefühlsduselige Wortbilder reiht ihr aneinander und wundert euch, warum das niemand hören will… Wir leben in der Zeit des Samplings, der zerfetzten Identitäten, der Multiperspektivität und nicht zuletzt in der Zeit der subtilen Ironie. In unserer Welt zählt Meinung und Pointiertheit…“

Meine Lieben,

Hand auf’s Herz: Wie reden Sie, wenn Sie von Gott sprechen? Wie würden Sie von Gott erzählen, wenn jemand Ihnen auf der Straße ins Gesicht sagt: „Dein Glaube hat doch nichts mit  meinem Leben zu tun…“

Wir Christen sind oft sprachlos geworden. Nimmt man es mir in meinem Leben und in meinem Reden noch ab, dass ich an den glaube, der Maria und Josef verheißen wurde, an den „Immaneuel“, den „Gott mit uns“. Können andere draußen auf der Straße, am Arbeitsplatz oder in der Kneipe noch spüren, dass dieser Gott ganz lebendig und real mit Dir und mit mir ist?

Wenn ich dann einmal allen Mut zusammennehme und mit anderen über Gott rede, dann wird es oft reichlich blass, abgehoben, weltfremd. Ich kaue womöglich Sätze wieder, die ich in Kindertagen auswendig gelernt habe. Aber wie könnte ich das auch anders machen?

Dieser Nachtwallfahrt zeigt mir heute drei andere Wege im Blick auf Jesus, auf Maria und auf die Anfänge der Wallfahrt hier.

Den Blick auf Jesus empfiehlt auch der Kommunikationsexperte in seinem Buch. Er meint: „Es wäre doch so einfach: Macht’s wie der Chef: Jesus hat sich auch Mühe gegeben, möglichst verständlich zu sein. Nicht immer mit Erfolg, aber immerhin hat er versucht etwas mit Bildern und Begriffen zu erklären, mit denen seine Zuhörerinnen und Zuhörer etwas anfange konnten… Sprecht doch einfach über Gott, wie ihr bei einem Bier sprecht. Dann ist das … immerhin mal wieder menschlich, nah und nicht zuletzt verständlich…“

Ebenso hilft mir der Blick auf Maria. Sie ist für mich gerade auch deshalb die „Mutter der Kirche“, weil das Evangelium sie immer als starke und vertrauensvolle Frau beschreibt, die mitten im Leben stand, die Sorgen und Angst kannte, die aber auch bei der Hochzeit in Kana mitgefeiert hat und ihr Loblied sang; die in unendlichem Vertrauen den schwersten Weg einer Mutter ging und die noch unter dem Kreuz zu unser aller Mutter wurde. Da ist nichts Abgehobenes, nichts Entrücktes. Da ist das Leben, mit allem was dazugehört. Da ist Maria, die ich nur verstehen kann, wenn ich selber mitten im Leben mit aller Freude und Hoffnung, aller Trauer und Angst der Menschen von heute stehe.

Und schließlich der Blick auf den Beginn der Wallfahrt hier in Kaltenbrunn. Wären es statt der Hirten Theologen und „Berufs-Christen“ gewesen, die einst hierhergekommen wären, ich weiß nicht, ob hier ein Wallfahrt hätte entstehen können. Es waren einfache Menschen, die sich ein tiefes Gespür fürs Leben bewahrt hatten. Sie fühlten die Geborgenheit dieses Ortes im Blick auf Maria, die uns Jesus zeigt. Wie haben wohl diese Hirten damals von dem erzählt, was sie hier an diesem Ort erfahren haben? Sie standen sicher auf keiner Kanzel und haben auch keine hochtrabenden Traktate verfasst. Aber sie haben in ihrer Muttersprache und in ihrer Mundart voller Staunen, voller Ehrfurcht, voll brennender Begeisterung von Gott erzählt, den sie im Blick auf Maria an diesem Ort gespürt haben. Diese einfachen Hirten haben mit ihren Worten und mit ihrem Leben andere spüren lassen, was seither unzählige Menschen hier suchen und finden – die Gewissheit: Gott ist mit uns!

Meine Lieben,

am ersten Tag meines Studiums wurde mir ein Satz mitgegeben, der für mich zum wichtigsten wurde: „Sie müssen die Menschen mögen und die Menschen müssen spüren, dass sie sie mögen.“ Maria zeigt mir dazu den Weg mitten in der Welt, mitten im Leben, mitten unter den Menschen. Einer, der den Glauben mitten in den Chancen und Fragen seiner Zeit charismatisch und zutiefst menschlich gelebt hat, war für mich der frühere Wiener Erzbischof Franz Kardinal König. Als Student durfte ihn einmal zum Zweiten Vatikanischen Konzil interviewen. Dabei konnte ich spüren, wie Glauben und Leben immer zusammengehören.

Seine Worte am Ende des Konzils zeigen mir auch heute, im Blick auf Maria, die Mutter der Kirche, einen guten Weg in unsere Zukunft, gemeinsam mit allen suchenden und fragenden Menschen:

Die Kirche Christi sei: Eine einladende Kirche. Eine Kirche der offenen Türen. Eine wärmende, mütterliche Kirche.

Eine Kirche des Verstehens und Mitfühlens, des Mitdenkens, des Mitfreuens und Mitleidens. Eine Kirche, die mit den Menschen lacht und mit den Menschen weint. Eine Kirche, der nichts fremd ist und die nicht fremd tut. Eine menschliche Kirche, eine Kirche für uns.

Eine Kirche, die wie eine Mutter auf ihre Kinder warten kann. Eine Kirche, die ihre Kinder sucht und ihnen nachgeht. Eine Kirche, die die Menschen dort aufsucht, wo sie sind: bei der Arbeit und beim Vergnügen, beim Fabriktor und auf dem Fußballplatz, in den vier Wänden des Hauses. Eine Kirche der festlichen Tage und eine Kirche des täglichen Kleinkrams. Eine Kirche, die nicht verhandelt und feilscht, die nicht Bedingungen stellt oder Vorleistungen verlangt.

Eine Kirche, die nicht politisiert. Eine Kirche, die nicht moralisiert. Eine Kirche, die nicht Wohlverhaltenszeugnisse verlangt oder ausstellt. Eine Kirche der Kleinen, der Armen und Erfolglosen, der Mühseligen und Beladenen, der Scheiternden und Gescheiterten im Leben, im Beruf, in der Ehe.

Eine Kirche derer, die im Schatten stehen, der Weinenden, der Trauernden. Eine Kirche der Würdigen, aber auch der Unwürdigen, der Heiligen, aber auch der Sünder. Eine Kirche – nicht der frommen Sprüche, sondern der stillen, helfenden Tat. Eine Kirche des Volkes.1

Amen.

 

1Franz Kardinal König (1905 – 2004) in seinem Schlusswort zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965

 

(Text/Bild: Witti)

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