Meine Lieben,
„Warum betest du? Bringt das wirklich was?“ – Spontan hab ich diese Frage eines Jugendlichen einfach mit „Ja“ beantwortet. Ein längeres Gespräch ergab sich daraus. Beten im Geist Jesu verändert mich und meine Wirklichkeit. Gemeinsam beten verändert diese Welt. Jesus betet. Immer wieder, an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten hält er inne, unterbricht den Alltag. Aus dem Gebet schöpft er Klarheit und Kraft für sein Handeln.
„Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat“, so kommt es von den Jüngern. Kurz und prägnant ist die Antwort Jesu. Keine lange Litanei, knappe klare Worte und im Anhang eine Kurzerläuterung, wie die Praxis ausschauen kann und soll. Du darfst dich deinem Nächsten, deiner Nächsten, nicht entziehen.
Vater, dein Name werde geheiligt. Vom Vater ist die Rede. Dieser ist Dreh- und Angelpunkt und macht uns dadurch zu Geschwistern. Der gemeinsame Vater verbindet uns, bindet uns in Verantwortung aneinander. Wer also Vater oder unser Vater sagt, sagt auch Bruder und Schwester. Und das könnte leicht ins Auge gehen. Nicht nur die nette Nachbarin oder der Arbeitskollege ist da gemeint. Es könnte durchaus auch der Obdachlose sein, der mir die Hand entgegenstreckt, der rumänische Bettler, der allwöchentlich mit gesenktem Blick und leerem Becher vor dem Supermarkt sitzt und an dem wir mit vollen und übervollen Einkaufswägen vorbeifahren müssen, der uns beschämt wegschauen lässt. Da hätten wir dann unseren Vater doch lieber nicht so konkret, würden ihn lieber fest in die Kirche einsperren, wo wir als Brüder und Schwestern unter uns sind, uns beim Friedensgruß die Hand geben und unsere kleine Welt für und in Ordnung ist. Meine Lieben,
wir dürfen und müssen uns, gerade als Menschen der westlichen Welt, die ihren Reichtum und Wohlstand oft auf Kosten der restlichen Welt aufgebaut hat, betend immer wieder belästigen lassen. Für viele Menschen ist das tägliche Brot keine Selbstverständlichkeit. Arme, Taglöhner, Leute die keine Arbeit haben, Bettler, Straßenkinder, die Liste ließe sich beliebig verlängern. Es liegt an uns, im Gebet unseren Blick immer wieder zu schärfen, das Anklopfen Schwestern und Brüder wahrzunehmen, hinzuhören und hinzuschauen. Und wir dürfen das „tägliche Brot“, um das wir Tag für Tag im Vaterunser bitten, auch einander nicht vorenthalten. Brot wird erst zum Leben, wenn es geteilt wird. Denn im Teilen können alle Anteil bekommen am täglichen Brot, das viel zu vielen Menschen weltweit tagtäglich immer noch vorenthalten wird.
Die Vaterunser-Bitte um das Brot Tag für Tag ist immer auch die Bitte um Gerechtigkeit für alle Schwestern und Brüder. Es ist aber wohl auch Gottes Stachel in unserem satten Fleisch, der unser Gewissen nicht zur Ruhe kommen lassen will, bevor wir nicht endlich spürbar und tatkräftig an einer gerechteren Welt mit bauen.
Daher möchte ich – satt und leicht übergewichtig, wie ich bin – heute besser so beten: Gib du uns heute und morgen und übermorgen unsere tägliche Solidarität mir den Armen und Ärmsten, bei uns und weltweit. Nur so werden wir wirklich das, was wir im Vaterunser betend sein wollen: gleichwertige Schwestern und Brüder vor Gott, dem Vater aller Menschen.
Amen.
(Text: Witti/Foto: Limmer)