Ist Jesu Liebesgebot lebbar? – Predigt 5. Sonntag der Osterzeit 2016

IMG_1088Meine Lieben,

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Es ist eines der schönsten Worte Jesu. Gerade heuer begleitet es mich immer wieder sehr intensiv, denn ich hab heuer so viele Trauungen, wie schon lange nicht mehr. Viele Paare wählen sich dieses Evangelium für ihren „schönsten Tag im Leben“ sehr bewusst aus.

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Was kann dieser große Auftrag Jesu für mich und mein Leben bedeuten?

Wenn sich ein Brautpaar das Ja-Wort schenkt, dann sagt dieses Jesus-Wort ihnen wohl: „Bewahrt euch, was ich heute füreinander empfindet. Pflegt eure Liebe. Lasst sie wachsen und reifen!“

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Wenn aus einem Paar dann Eltern werden, dann bedeutet dieses Jesus-Wort wohl für sie: „Gebt Eurem Kind alle Liebe, die ihr ihm nur geben könnt. Lasst es in Geborgenheit heranwachsen. Aber liebt es auch so wahrhaft, dass ihr eurem Kind erlaubt, zur rechten Zeit auch die eigenen Wege gehen zu lassen. Gebt eurem Kind die Liebe, die ihm hilft, auch selber ein liebender Mensch zu werden!“

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Was sagt dieses Wort einem Menschen, der von einem anderen tief enttäuscht worden ist? Ist dann Liebe noch möglich? Ist das nicht das Ende aller Liebe? Oder bewährt sich erst hier die Liebe, die diesen Namen auch verdient?

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Wenn ein geliebter Mensch krank, hilfsbedürftig, pflegebedürftig wird, dann stellt sich diese Frage ganz neu, oft existentiell. Wie schaut meine Liebe dann aus? Wie kann ich sie dann noch ausdrücken? Muss ich dann lieben bis zur Selbstaufgabe, bis zum Ende meiner eigenen Kräfte? Wie ist Liebe lebbar, wenn ich selber womöglich an meine eigene Grenze komme?

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Die härteste Probe für dieses Jesus-Wort ist es wohl, wenn mein geliebtes DU stirbt, wenn im Tod mir alle genommen wird, was ich einst am anderen geliebt habe. Wie kann ich dann weiterleben, wenn von aller Liebe nur noch Schmerz und Trauer bleiben?

Meine Lieben,

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“ – Dieses Wort Jesu wird mich mein Leben lang begleiten. Aber ich werde damit nie an ein Ende kommen. Jeden Tag neu fordert mich dieses Wort Jesu heraus, ruft es mich, lädt es mich ein, die Liebe zu leben, die Liebe zu wagen.

LIEBE im Sinne Jesu, das ist also noch viel mehr als nur ein Auftrag oder eine Weisung. Es ist die Einladung zu einem liebenden und liebevollen Lebensstil. Es ist die Einladung, sich auf Jesu Lebensstil auch selber einzulassen.

Henri Nouwen, der große geistliche Lehrer, beschreibt diese tiefe innere Haltung einmal so:

Die wirkliche Frage lautet nicht: »Was können wir einander bieten?«, sondern: »Wer können wir füreinander sein?« Zweifellos, es ist wunderbar, wenn wir einem Nachbarn etwas reparieren, einem Freund einen guten Rat geben, einem Kollegen einen hilfreichen Tipp geben, einem Kranken Linderung verschaffen und einem Pfarrangehörigen die Frohe Botschaft verkünden können. Aber es gibt ein größeres Geschenk als das alles. Das ist das Geschenk unseres eigenen Lebens, das aus allem, was wir tun, hervorleuchtet. Je älter ich werde, desto mehr entdecke ich, dass mein größtes Geschenk, das ich anzubieten habe, meine eigene Freude am Leben ist, mein eigener innerer Friede, mein eigenes Schweigen und meine Einsamkeit, mein eigenes Gefühl, mich wohl zu befinden. Wenn ich mich selbst frage: »Wer hilft mir am meisten?«, dann muss ich zur Antwort geben: »Der Mensch, der bereit ist, sein Leben mit mir zu teilen.«1

Ich wünsche es heute Dir und mir von ganzem Herzen, dass wir immer mehr im Sinne Jesu zu derart liebenden Menschen werden; dass wir täglich neu verstehen lernen, was es heißt:

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!“

Amen.

 

1Henri Nouwen in: Wege zur Mitte. Herder Verlag, Sonderband 2016, Freiburg Basel Wien 2016.

(Text: Witti/Foto: Wanker)

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