„Was gewisses weiß man nicht…“ – Predigt zum Weißen Sonntag (Witti)

100_0013Meine Lieben,

„Was gewisses weiß man nicht…“ – Das ist nicht nur hier im Bayernland das Glaubensbekenntnis vieler Zeitgenossen. Zwar bin ich fest überzeugt, dass jeder Mensch immer auch ein religiöses Wesen ist, dass sich jeder immer auch im Tiefsten seines Inneren sich nach etwas sehnt, auf das er Vertrauen kann, das Halt und Geborgenheit gibt, aber oft ist scheint das ein sehr nebulöses Suchen und Hoffen zu sein. Vielleicht tun sich deshalb viele Menschen von heute so schwer damit, über den Glauben zu reden. Vielen scheinen geradezu die Worte zu fehlen, wenn es um diese sehr persönliche, ja, zutiefst intime Seite des Lebens geht.

Umgekehrt muss ja auch ich selber oft um Worte ringen, wenn ich das letztlich Unaussprechliche ausdrücken will, das ich selber im Leben ja auch immer wieder nur erahnen, ersehnen und vorsichtig erspüren kann. Wenn ich dann nicht einfach nur auswendig gelernte Formeln wiedergeben möchte, die dem heutigen Leben oft sehr fern zu sein scheinen, dann wird es schon manchmal schwierig.

Statt theologische Vorträge zu halten, erzähle ich dann oft lieber von Erlebnissen, in denen ich in meinem Leben die Ahnung Gottes spüren durfte und von Menschen, durch deren Leben mein Glaube gestärkt wurde und wachsen konnte.

Diese Momente sind kostbar, weil sie so selten sind. Viel zu viele Bilder und Worte prasseln im Alltag oft auf mich ein. Aber auch wenn es zahlenmäßig nur wenige solcher Momente und Erfahrungen sein mögen, sie können doch mein Leben verändern. Ich muss nur im entscheidenden Moment offen dafür sein, die Augen meiner Seele dafür offen halten. Wie schwierig das oft ist, beschreibt der evangelische Pfarrer und Zeichner Tiki Küstenmacher einmal so:

Die berühmte Statue vom »blinden Seher« ist vielen Menschen bekannt: Ein alter Mann tastet sich mit der linken Hand vorsichtig in den Raum vor – die typische Geste eines Blinden. Der andere Arm aber deutet nach vorne, auf ein fernes Ziel hin. Auch die leeren Augenhöhlen des Blinden sind dorthin gerichtet. Sein Gesichtsausdruck verrät deutlich: der Blinde sieht. Was wir mit den Augen sehen, ist laut. Es drängt sich auf und schiebt sich über unsere anderen Sinne. Wer keine Augen hat, nutzt die anderen Sinne: Er riecht doppelt, fühlt doppelt, schmeckt doppelt. Und er entwickelt Wahrnehmungsorgane, von denen der Sehende nichts ahnt. Er schaut hinter die sichtbare Welt. Darum schätzten die alten Kulturen den »blinden Seher« so hoch. Vielleicht können wir heute noch von den Blinden lernen, wo uns die Bilder umfluten und betäuben wie noch nie. Jesus spricht ungern von »Gläubigen« und »Ungläubigen« oder von »Bekehrten« und »Unbekehrten« – er unterscheidet einfach zwischen Sehenden und Blinden. Damit macht er deutlich: Glauben erfordert keine besonderen Fähigkeiten oder übermenschlichen Anstrengungen. Alles, was dazu nötig ist, ist Offenheit. So wie man die Augen aufmacht und sieht, was vor einem ist, so soll unser Herz, unsere ganze Person offen sein, es geschehen lassen. Das klingt einfach, aber unser Blick ist getrübt von vielerlei Hindernissen, die uns die Sicht versperren. Getönte Brillen, die uns die Wirklichkeit verzerren. Man nennt das Ideologie, und es gibt kaum etwas, das Jesus so wü­tend macht, wie solche Denkschablonen: Wenn Menschen nicht auf Menschen sehen, sondern auf ein System, eine Idee, irgendetwas, das wichtiger ist als der Mensch, der gerade vor ihm steht.

Meine Lieben,

im Blick auf Gott sind wir alle blind. Wir können ihn nie voll erkennen. Wir können nur mit vielen Sinnen, mit vielen Eindrücken, ahnen, dass und wie er in meinem Leben da ist. Das aber sind dann die kostbarsten Erfahrungen dieses Lebens.

Ich wünsche es heute Dir und mir, dass unser Glaube niemals nur noch eine Ansammlung leere Formeln und Worte sei.

Ich wünsche es heute Dir und mir, dass niemals Ideologien und starre Denkschablonen an die Stelle eines lebendigen Glaubens treten.

Ich wünsche es heute Dir und mir, dass auch der Zweifel und nicht verzweifeln lässt, sondern dass wir auch im Zweifel noch wachsen und trotz aller Blindheit zu suchenden werden.

Ich wünsche es heute Dir und mir, dass auch wir immer wieder ehrlich und ergriffen in unendlich kostbaren Momenten des Lebens so sprechen können, wie der zweifelnde und doch so stark glaubende Thomas es getan hat.

Ich wünsche heute Dir und mir, dass auch wir immer wieder und aus ganzem Herzen sagen können:

„Mein Herr und mein Gott!“

Amen.

(Foto: Limmer)

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