Jesus, Judas und die Fußwaschung – Predigt zum Gründonnerstag

(Foto: Limmer)
(Foto: Limmer)

Meine Lieben,

er war tief enttäuscht und konnte irgendwann aus seiner Enttäuschung keinen Hehl mehr machen. So viel hatte er sich von diesem Jesus für die Zukunft versprochen, nicht nur für sich, sondern auch für sein ganzes Volk. Aber es passierte nichts. So schön es bis vor kurzem auch lief, alles blieb beim Alten. Es änderte sich ja doch nichts. Hatte er aufs falsche Pferd gesetzt? Oder konnte er ihn letztlich doch noch zwingen, endlich seine Macht zu demonstrieren?

Die Fußwaschung, der niedrigste Sklavendienst, den ER, der Meister und Herr an den seinen eben vollzogen hatte, gab ihm den Rest. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. So lassen sich die Umstände nicht ändern. So kann man das Volk nicht befreien. So kann man Gottes Reich nicht aufrichten. Nach der Fußwaschung war ihm das klar. Er stand vom Tisch aus und ging hinaus in die Nacht: Judas Iskariot – Wir sind es bis heute gewohnt, ihn den „Verräter“ zu nennen. Aber war er das wirklich?

Hat sich Judas nicht einst, zusammen mit den übrigen elf, auch begeistert mit Jesus aufgemacht? Hat er nicht auch alles zurückgelassen, um mit Jesus einen neuen Anfang zu wagen? Wie kann es da sein, dass er plötzlich zum Verräter wird?

Manche Gelehrte suchen die Antwort auf diese Frage in seinem Beinamen „Iskariot“. Man vermutet, dass dieser Beiname darauf hinweisen soll, dass Judas vor der Begegnung mit Jesus zur Gruppe der „Sikarier“, zu Deutsch der „Dolchmänner“, gehört hat. Die Sikarier waren Guerilliakämpfer, die mit Attentaten und gewaltsamen Aktionen die verhassten Römer aus dem Heiligen Land vertreiben wollten. Mit Gewalt wollten sie das Israel Gottes wieder aufrichten. Auf für einen solchen hatte Jesus offenbar Platz im Kreis seiner Jünger.

Beim triumphalen Einzug in Jerusalem schien der Umsturz ja schon zum Greifen nahe. Das Volk wollte Jesus zum König machen, wäre ihm bedingungslos in jede Schlacht gefolgt. Aber Jesus wollte das nicht. Er zog sich zurück. Er hat diese einmalige Chance nicht genutzt.

Hier spürte Judas wohl, dass das mit Jesus nichts werden würde, dass von ihm die Befreiung des Volkes und Landes nicht zu erwarten sei. Er war enttäuscht. Vielleicht wollte er Jesus mit der Gefangennahme zwingen, doch endlich seine wahre Macht zu zeigen.

Judas verstand Jesus nicht mehr. Er verstand den Gott nicht, den Jesus verkündet. Den starken Mann hatte er sich erhofft. Gekommen ist ein Gott, der schwach und verletzlich ist, der lieber den schäbigsten Sklavendienst verrichtet, als nach der Macht zu greifen. Judas verstand diesen Gott nicht mehr…

Meine Lieben,

ist Judas wirklich nur „der Verräter“? Für mich ist er manchmal auch der Bruder all derer, die bis heute Gott nicht verstehen. Oft genug geht es mir doch auch selber so: Warum lässt Gott das zu? Warum trifft einen lieben Menschen, der mir am Herzen liegt, der sich in Kirche und Welt engagiert, eine schwere Krankheit? Warum brechen immer wieder Schicksalsschläge über liebe Menschen herein? Warum können verbrecherische Fanatiker mit Bombenterror Angst und Schrecken verbreiten? Warum werden gleichzeitig Unschuldige mit diesen Verbrechern in einen Topf geworfen, nur weil sie dem gleichen Volk oder der gleichen Religion angehören? Warum lässt es Gott zu, dass Hass und Gewalt und der Ruf nach Mauern und Zäunen, Obergrenzen und Waffen das Miteinander der Völker zu bestimmen scheint?

Auch ich verstehe Gott hier oft nicht mehr… Auch ich habe bei all diesen Fragen, bei all meinem Unverständnis, nur das, was Jesus schon dem Judas und den übrigen Elf seinerzeit gegeben hat:

  • das Versprechen, dass ER selber bei mir ist in den Gestalten von Brot und Wein
  • das Versprechen, dass ER mir in diesem Sakrament die Kraft geben will, zu vertrauen, zu glauben, was ich nicht verstehen kann
  • das Versprechen, dass ER mir helfen will, SEINE Lebenshaltung des Dienens zu wagen, denn auch zu mir sagt er heute: „Ich habe dir ein Beispiel gegeben, damit auch du so handelst, wie ich an dir gehandelt habe.“

 

So kann ich es wagen, das Zeichen der Fußwaschung als ganz neue und ganz andere Maxime für mein Handeln in mein Leben mit hinein zu nehmen, so wie es die Dichterin Ilse Pauls in einem Gedicht beschreibt:

Fußwaschung ist: Berührung mit Händen Begegnung mit Blicken Zuwendung der Liebe Dienst am anderen Zeichen der Verbundenheit Sich klein machen ein Beispiel geben.1

Amen.

(Text: Michael Witti)

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