„Wolf im Schafspelz“ oder „Guter Hirte“?

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit 2015 – Lesejahr B (M. Witti)

Wolf im SchafspelzMeine Lieben,

auf den ersten Blick könnte man meinen, das hier wäre ein niedliches, kleines Schaf. (Plüschfigur zeigen)Große Knopfaugen schauen einen aus dem kuschlig-weichen Fell heraus an. Einfach lieb ist das… Aber wenn ich diese kleine Schaf ein wenig an den Ohren ziehe, dann verschwindet das weiße Fell plötzlich wie eine Kapuze, die man zurückschlägt – und zum Vorschein kommt der

WOLF IM SCHAFSPELZ!

Zugegeben, dieser Wolf hier schaut mit seinem Schafspelz immer noch recht niedlich drein, aber das ist nicht immer und bei jedem so. Es gibt im Leben viele Wölfe im Schafspelz, Menschen, die sich Vertrauen erschleichen und andere ausnützen, Menschen, die dir Komplimente machen und dir schön tun, insgeheim aber ganz anders über dich denken, Menschen, die selbstlos für andere da zu sein schein, in Wirklichkeit aber knallhart eigene Interessen verfolgen.

Solche Menschen können Dir in der Wirtschaft und im Berufsleben begegnen, im Verein oder in der Nachbarschaft, in der eigenen Familie oder auch in der Kirche. Wer heute im Leben etwas erreichen will, darf sich nicht scheuen, alles Mögliche dafür zu tun. Notfalls muss ich dann halt auch einmal scheinheilig als „Wolf im Schafspelz“ auftreten, andere täuschen, damit ich meine Ziele erreiche. Das Leben ist eben kein Ponyhof…

Es mag sein, dass Menschen, die nach dieser Devise leben, es in ihrem Leben auch zu etwas bringen. Deshalb bringen wir es ja auch vielfach unseren Kindern schon von klein auf bei: „Lass dir nichts gefallen! Denk an dich! Schau, dass du Recht bekommst…“ Wenn einfach jeder an sich denkt, dann ist doch an alle gedacht, oder?

So gesehen kann Jesus heute eigentlich einpacken mit seinem „guten Hirten“, den er uns da als Vorbild präsentiert. Er zeigt ihn als einen, dem es offenbar nicht um Bezahlung oder Karriere geht, der nicht nur seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen will, sondern der einfach nur ganz und gar, mit Leib und Seele für seine Schafe, für seine Sache, da sein will. „Schön blöd“, mag sich da mancher „Wolf im Schafspelz“ denken…

Jesus, der sich aber voll mit diesem „guten Hirten“ identifiziert, geht aber sogar noch viel weiter. Er ist nicht nur selbstlos ganz für seine Schafe da, stellt sich nicht nur voll und ganz in den Dienst an dieser Sache, er zeigt uns in seinem ganzen Leben noch vielmehr und stellt damit unsere Kategorien von Leistung, Erfolg und erfülltem Leben endgültig auf den Kopf.

Jesus ist nicht einfach nur der „gute Hirte“, er geht noch viel weiter. ER wird selber zum LAMM und zeigt uns damit, wie wir den im Evangelium beschriebenen Kampf mit dem Wolf aufnehmen sollen.

Im Leben von uns Christen – gerade für uns, die wir in Freiheit und Sicherheit leben dürfen – steht dieser „Wolf“ im Evangelium ja nicht unbedingt für äußere Feinde und Bedrohungen. Es ist vielmehr der Wolf in mir selber. Wenn ich nur ehrlich bin, trage ich doch oft genug selber so einen „Wolf im Schafspelz“ in mir.

Wie oft gehe denn auch ich einfach davon aus, dass ich selbstverständlich Recht habe und die anderen natürlich im Unrecht sind? Wie oft will ich meine Meinung als die allein gültige einfach durchdrücken? Wie oft lasse ich andere nicht gelten, weil ich einfach nicht bereit bin, mich auf sie einzulassen?

Egal, ob ich das im Beruf, im Verein oder in der Familie tue, immer bin ich dann auch ein Stück weit ein selbstgerechter „Wolf im Schafspelz“.

Am Schlimmsten wird es, wenn dabei auch noch Religion und Glaube ins Spiel kommen: Je emotionaler dann die Diskussion ist, desto heftiger sind die Reaktionen. Es ist eine traurige Wahrheit und zugleich ein Skandal, dass in Gottes Namen immer wieder Streit und Kriege entstehen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Menschen immer wieder zu Wölfen werden, auch wenn sie sich dabei nur zu gern den Schafspelz der Rechtgläubigkeit überziehen.

Meine Lieben,

Jesus durchbricht diesen Wahnsinn, indem er nicht Wolf, sondern Lamm wird. Er ist das Lamm Gottes, das sich ohnmächtig hingibt, damit Menschen aus diesem Teufelskreislauf ausbrechen können und jenseits aller Rechthaberei neue und wirklich menschliche Wege finden.

Weil er selber zum „Lamm“ wird, schütz uns der gute Hirte Jesus vor dem Wolf, der oft genug in uns selber steckt. Er hilft mir, meiner Ohnmacht zu vertrauen, statt mit aller Macht und Rechthaberei andere nieder zu machen. Er zeigt mir, dass er keine äußerlich frommen, aber innerlich knallharten „Wölfe im Schafspelz“ braucht, sondern Menschen, die bereit sind, sich selbst zurückzunehmen, um anderen Menschen und um dem Evangelium Platz zu machen in dieser Welt und im eigenen Leben.

Amen.

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