Predigt zum 4. Adventssonntag 2014 – Pfarrer Michael Witti
„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir…“ – Dieses Gebet ist mir seit Kindertagen lieb und vertraut. Die Oma hat bei uns im Haus gewohnt. Abends zündete sie immer eine große Stumpenkerze an. Der vertraute Duft dieser Wachskerze und das heimelige Licht, das sie verbreitete, erfüllte den Raum. So wurde in ihrem Wohnzimmer allabendlich der Rosenkranz gebetet. Oft war ich als Kind dabei, umfangen von dieser ganz eigenen Atmosphäre tiefer Geborgenheit.
„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir…“ – So beten wir bis heute in unseren Kirchen jedes Jahr unzählige Mal. Wir beten so ein „Ave Maria“ als kleines Gebet bei persönlichen Anliegen, beim gemeinsamen Rosenkranzgebet, bei Bittgängen oder beim Tod eines lieben Menschen. Und auch dabei spüre ich immer noch ein Stück dieser tiefen Geborgenheit aus Kindertagen.
Über all diesen liebgewordenen Gefühlen könnte ich beinahe vergessen was dieser Gruß des Engels ursprünglich einmal für Maria bedeutet hat. Da war anfangs wohl wenig von Geborgenheit zu spüren. Der Gruß des Engels mit der darauffolgenden Botschaft war für Maria wohl eher eine unglaubliche Provokation, eine wirklich existentielle Herausforderung. Wenn Gott so ins eigene Leben hereinbricht, dann macht das wohl erst einmal ratlos, hilflos, Angst macht sich breit. Alles gewohnte, die ganze persönliche Lebensplanung Marias wurde von diesem Engel mit einem Mal über den Haufen geworfen. Aber Maria hört weiter zu, aber schließlich wird es ihr zu viel, was dieser Gottesbote da sagt. Das geht doch nicht…
„Wie soll das geschehen? Ich habe doch mit noch keinem Mann geschlafen?“ Maria weiß, was ihr in der damaligen Gesellschaft mit einem ledigen Kind blühen würde. Ihr Josef könnte sie sofort verstoßen. Mit Schimpf und Schande könnte man sie aus dem Dorf jagen, samt ihrem ungeborenen unehelichen Bankert. Und doch geschieht dann das, was niemand verstehen kann. Maria stimmt zu: „…mir geschehe, wie du es gesagt hast.“
Keiner von uns kann auch nur erahnen, woher sie den Mut für dieses Wort nahm. Es war wohl getragen von unendlichem Vertrauen in einen, der größer ist, als wir es uns auch nur denken können und der es unendlich gut mit uns Menschen meint. Maria sagte ihr „Ja“ – und Gott konnte durch sie Großes geschehen lassen. Dabei hat Gott Maria durch den Engel keineswegs gezwungen. ER hat ihr ein Angebot gemacht – und Maria hat in voller Freiheit auf dieses Anruf Gottes geantwortet.
Meine Lieben,
„Sei gegrüßt, du Begnadete, du Begnadeter, der Herr ist mit dir…“ Ich bin mir ganz sicher, dass Gott auch heute noch so zu Menschen – zu uns hier – spricht. ER will auch heute noch durch uns in dieser Welt manches bewirken, will durch uns seinen Traum von einer besseren und menschlicheren Welt immer mehr Stück für Stück Wirklichkeit werden lassen.
„Sei gegrüßt, du Begnadete, du Begnadeter…“ Jeder Mensch hat sein ganz eigenen Talente und Fähigkeiten. Jede und jeder von unser hier ist in ganz persönlicher Weise so von Gott „begnadet“ worden. Und Gott fragt auch jede und jeden von uns hier: Bist du bereit, mit deiner Begabung und „Begnadung“ an meinem Reich mitten unter den Menschen mitzuarbeiten? Bist du bereit, das Deine dazu beizutragen, dass Gottes Nähe in der Welt spürbar und sein Friede erfahrbar wird – nicht nur zu Weihnachten?
Wir haben viele, die in unseren vier Gemeinden hier – wie einst Maria – „Ja“ sagen, die sich von Gott in Dienst nehmen lassen, die ihre Talente und „Begnadungen“ für andere fruchtbar werden lassen. Das sind bei uns die Ministranten und Mesner, die Musiker, Lektoren, Kantoren, Kommunionhelfer hier bei den Gottesdiensten, das sind alle, die den Pfarrgemeinderäten und Kirchenverwaltungen, in den Vereinen und Verbänden Verantwortung übernehmen. Das sind genauso all jene, die oft ganz unscheinbar unzählige kleine Dienste und Aufgaben übernehmen, die oft erst auffallen würden, wenn es sie nicht mehr gäbe, wenn eine Kirche nicht mehr geputzt oder ein Pfarrbrief nicht mehr ausgetragen wird. Das sind aber genauso die vielen, die in ihrem Alltäglichen Leben für andere da sind, die offene Ohren, offene Hände und offene Herzen im Sinne Jesu haben. All diese unzähligen Menschen sagen in ihrem Leben und durch ihr Leben – so wie Maria – ihr ganz persönliches „Ja“ auf den Ruf, der von Gott her an sie ergeht. Ich glaub ganz fest, dass Gott jeder und jedem von uns immer wieder so einen Engel schickt, auch wenn der nicht unbedingt Flügel haben muss; einen Engel der uns spüren lassen will, wozu er dich und mich heute braucht und einlädt. Ich muss IHN dann nur erkennen, so wie es ein wunderschönes Lied einmal beschreibt:
„Hände wie deine, wie du sein Gesicht und sieht er dich an, dann erkennst du ihn nicht. – Viel später fällt dir ein: Das kann ein Engel, wirklich ein Engel gewesen sein… Das kann ein Engel, wirklich ein Engel gewesen sein…“
Amen.
(Foto: Witti/Pfarrhauskapelle Feichten)