„Sind Flüchtlinge auch Schwestern und Brüder?“

Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis 2014 – Lesejahr A (Pfr. Michael Witti)

Interkulturelle Woche 14Meine Lieben,

Kinder flitzen durch die feiernden Menschen, toben sich in der Hüpfburg aus, lachen herzlich und strahlen dabei übers ganze Gesicht. Es ist eine ausgelassene Stimmung, wie ich sie von unseren Pfarr- und Kindergartenfesten her kenne. Nur vielen der Kinder und auch der Erwachsenen, die ich an diesem Samstag beim interkulturellen Fest in Altötting erlebt habe, war noch vor wenigen Wochen wohl gar nicht zum Feiern und Lachen zumute. Es sind Flüchtlinge aus den derzeit schlimmsten Krisenregionen der Erde, die hier um Asyl bitten. Es sind Männer, Frauen und Kinder, die noch vor kurzem Dinge miterlebt und mit angesehen haben, die wir uns hier nicht annähernd vorstellen können und wollen.

Ein Jugendlicher erzählte mir auf Englisch, dass er aus Somalia kommt. Seit sechs Monaten ist er nun in Töging untergekommen, ein toller aufgeweckter Bursche. Als er weg war, erzählte mir mein evangelischer Kollege aus Töging, dass der Bub sich noch schwer tut, nicht nur mit der deutschen Sprache. Er ist blockiert, wollte nach München, wo Landsleute sind, mit denen er gemeinsam die Flucht erlebt hat. Viel Geduld war wohl nötig, um ihm zu zeigen, dass die Großstadt wohl nicht das Beste für ihn sei. Er soll hier nun auf eine Berufsausbildung vorbereitet werden. Aber er ist eben auch einer, der seine Wurzeln verloren hat. Der in einem an sich schon schwierigen Alter nicht nur brutale Erfahrungen verarbeiten, sondern auch noch in einem fremden Land seinen eigenen Weg suchen und finden muss. Ich hab nur gespürt, dass ich selber viel zu wenig weiß von Somalia und den vielen anderen Krisenregionen, aus denen Menschen hierher zu uns kommen, aus Angst um ihr Leben, ihre Zukunft, ihre Kinder. Manch andere Schicksale habe ich bei diesem Fest noch am Rande mitbekommen. Vieles konnte ich nur in Blicken erahnen zwischen tobenden Kindern, die endlich wieder einmal lachen konnten.

Ich hab aber auch Menschen erleben dürfen, denen diese Flüchtlinge nicht egal waren. Das waren Politiker unserer Region und Mitarbeiter der Behörden ebenso, wie Helfer des Roten Kreuzes und viele Freiwillige, die sich hier engagieren. Ich hab mich mit alteingesessenen Landkreisbürgern ebenso angeregt unterhalten, wie mit Vertretern der muslimischen Gemeinden hier. Über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg spürte man eine große und befreiende Solidarität für Menschen, die dann nur noch „Brüder und Schwestern in Not“ waren und für die man einfach da sein wollte.

„Mein Sohn, geh und arbeite heute in meinem Weinberg.“ – Wo könnte dieser „Weinberg“ aus dem Gleichnis Jesu heute sein? Vielleicht würde heute Jesus jenen Vater sagen lassen: „Mein Sohn, geh und arbeite mit diesen Armen Teufeln. Sei für sie da. Lass sie spüren, dass sie für dich als Christ Schwestern und Brüder sind.“ Die Reaktion wäre dann heute wohl oft ebenso, wie Jesus sie beschreibt. Viele würden sagen: „Ja natürlich, das ist wichtig, das ist mir ein sehr großen Anliegen!“ Sie würden gescheite Reden halten, was man nicht alles tun sollte, könnte und müsste. Aber viele würden es dann doch auch – wie jener erste Sohn – beim Reden belassen. Anders der zweite Sohn. Der hat zwar zuerst gesagt: „Nein, ich will nicht.“ Aber dann spürte er, dass es nötig war, etwas zu tun. Ohne Aufhebens, ohne große Worte, ohne dass die anderen es merkten, hat er schließlich doch angepackt. Er hat gespürt, dass es jetzt auf ihn ankam, dass er jetzt gefragt sei, damit überhaupt etwas geschieht.

 

Meine Lieben,

natürlich braucht es, angesichts so vieler Hilfesuchender, Gespräche, Konferenzen und Planungen, um verantwortungsvoll entscheiden zu können. Aber noch mehr braucht es Menschen, die sich – wie jener zweite Sohn – einfach berühren lassen, die spüren, dass sie nun gebraucht werden, dass es auf sie nun ankommt – und die bereit sind, sich dieser Herausforderung auch zu stellen, anstatt nur die Augen vor dieser Wirklichkeit zu verschließen, wie es viel zu viele tun.

Der Franziskaner Richard Rohr beschreibt Kirche deshalb einmal als eine „Gegenkultur“, also als eine „Gemeinschaft, deren Lebensstil dem Strom der herrschenden Kultur entgegenläuft. Es ist ein Stil, bei dem es um Kooperation geht, statt um Konkurrenz, um Geben statt Nehmen, um Teilen statt Horten, um Hingabe statt Bequemlichkeit, um Glauben statt Wissen, um Beziehung statt Anonymität, um Liebe statt Feindschaft…

So hat es wohl auch Paulus gemeint in seinem Brief an die Gemeinde von Cäsarea Philippi. In der heutigen Zweiten Lesung daraus ruft er – mitten in unseren heutigen Fragen und Problemen – Dir und mir ganz konkret zu:

„…macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.“

Amen.

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