Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis 2014 – Lesejahr A (Pfarrer Michael Witti)
Predigttext Mt 20,1-16a
In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen.
Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten. Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte,
und jeder erhielt einen Denar. Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar. Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebensoviel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin? So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.
wie mag es einem „Langzeitarbeitslosen“ gehen, wenn er heute dieses Evangelium hört? Menschen, die vielleicht schon über 50 sind, ihren Job verloren und keine Aussicht auf eine neue Anstellung haben, gibt es genug. Jung, dynamisch und erfolgreich muss man ja heute sein. Am besten wären 25-jährige, mit langer Berufserfahrung und dennoch geringem Einstiegsgehalt. Aber die gibt es halt in der Wirklichkeit kaum. Viele, die auf der Straße stehen wissen, je länger sie arbeitslos sind, desto geringer sind ihre Chancen. Oft schiebt man sie dann einfach von einer sogenannten „Maßnahme“ in die nächste weiter, damit sie möglichst nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, bis sie irgendwann vom sozialen Abstellgleis in den finanziell desolaten Ruhestand verschoben werden.
Oder: Was mag sich einer junger Mensch bei diesem Gleichnis Jesu denken, der auch in Zeiten, in denen Lehrlinge Mangelware sind, keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hat? Jedes Jahr verlassen viele zu viele junge Leute die Schule ohne Abschluss und damit oft genug auch ohne Perspektive. Die Gründe sind vielfältig. Oft haben diese Jugendlichen von klein auf einfach nicht die Aufmerksamkeit und die Unterstützung bekommen, die sie von den Eltern, von der Familie und den Lehrern gebraucht hätten. Oft haben sie schon im Elternhaus nicht erleben können, wie denn so ein „geregeltes Leben“ ausschauen könnte. Oft war ihr ganzes junges Leben lang kaum wirklich jemand für sie da – und das geht dann auch so weiter. Würden Sie so einen Jugendlichen als Azubi nehmen? Würden Sie ihm eine Chance geben?
Zu viele Menschen – jeden Alters – bekommen keine Chance, erfahren sich nicht als gleichwertig, werden einfach abgeschrieben. Auch in Zeiten rekordverdächtiger Steuereinnahmen ist für sie kein Geld da, weder in der Kinderbetreuung, noch in Beratung und Begleitung und erst recht nicht in der letzten Phase eines Lebens, das dann bei Gebrechen und Pflegebedürftigkeit von Menschenwürde nur noch träumen kann.
Zu viele bekommen keine Chance in unserem materiell immer noch so reichen, aber menschlich oft doch so bitterarmen Land.
Wie würde diese Welt aussehen, wenn Jesu Beispiel aus dem Evangelium Schule machen würde? Wenn auch der letzte noch ebenso die Chance auf Leben und menschenwürdiges Auskommen erhalten würde, wie der erste, dem ja im Gleichnis auch kein Unrecht geschah? Wie würde eine Welt aussehen, in der jeder Mensch gleich wertvoll, gleich angesehen, gleich geliebt wäre?
Um das zu verstehen, muss ich vielleicht weiter fragen:
Wie würde eine Kirche aussehen, in der sich niemand mehr ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt fühlen müsste? Wie würde eine Kirche aussehen, in der jeder Platz hätte, der in dieser Gemeinschaft auch Platz finden möchte?
Oder fragen wir noch ein wenig konkreter:
Wie müsste unsere Pfarrgemeinde hier aussehen, damit sich Menschen eingeladen fühlen, damit Menschen wirklich spüren können: Hier bin ich willkommen! Hier freut man sich über mich! Hier darf ich so sein, wie ich bin! Hier spüre ich, dass ich geschätzt und geliebt werde!
Meine Lieben,
es reicht nicht, wenn wir als „Kirche vor Ort“ nur mehr oder weniger gescheite Reden halten und in großen Worten fordern, dass doch „die da oben“ endlich etwas ändern sollen. Die alles entscheidende Frage ist, ob ich bereit bin, mich auf Jesu Beispiel einzulassen, ob ich bereit bin, Jesu Beispiel nicht nur von anderen zu fordern, sondern es einfach selber – mit all meinen engen Grenzen – wenigstens versuchsweise zu leben.
Bei seiner Amtseinführung hat an diesem Samstag der neue Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki sinngemäß so gesagt: Jeder Mensch ist Abbild Gottes. Die Frage ist nicht, ob ich ihn lieben kann oder darf, sondern allein, ober er meine Liebe braucht…
Amen.
(Foto: Limmer)