Ein Mann kam in ein Dorf, in dem, wie überall erzählt wurde, wunderschöne Gärten waren, große und kleine, vornehme und einfache. Der Mann, mit seinem eigenen Garten nicht mehr zufrieden, wollte sich in diesen Gärten einmal umsehen. Vielleicht, so dachte er, kann ich dieses und jenes dann in meinem Garten ändern. Am Eingang des Dorfes saß ein alter Mann, der verständig und weise aussah. Ihn fragte er, wie er es anstellen müsse, einen der Gärten zu besehen, um derentwillen das Dorf so berühmt sei. Der alte Mann winkte einen seiner Söhne herbei, und dieser führte ihn in einen großen Garten. „Die Gartenpforte muss erneuert werden“, sagte der Sohn, als sie den Garten betraten, und zeigte auf einige unschöne Stellen. „Und diese Wege sind reichlich ausgetreten und müssen eingeebnet werden.“ Vor einem Rosenstrauch blieb er nachdenklich stehen: „Seht Ihr die Blattläuse? Er wird kaum überleben. Und das Gewächs dort hinten an der Mauer, es wird wohl auch eingehen. Die Wurzeln sind befallen und nehmen das Wasser nicht mehr auf. Wir können gießen, soviel wir wollen, es hilft nicht mehr.“ Der Sohn zeigte ihm noch manches, was nicht in Ordnung war. Es schien ein kranker Garten zu sein, und der Mann überlegte, warum man ihn gerade in diesen Garten geführt hatte. Enttäuscht berichtete er dem Alten vom schlechten Zustand des Gartens und fragte ihn, ob er nicht einen anderen sehen könnte. Der weise Alte winkte einen anderen seiner Söhne herbei. Dieser führte den Mann in einen Garten, der ihm wohl gefiel. „Seht hier, diese Kletterrose“, sagte der Sohn und zeigte auf einen Bogen über der Gartenpforte. „Sie blüht das ganze Jahr. Es gibt keine andere Kletterrose im ganzen Dorf, die so viele Blüten treibt. Und dort ein Mandarinenbaum. Er trägt die süßesten Früchte.“ Er gab dem Mann eine reife Frucht von köstlichem Aroma, die ihm wohl schmeckte. „Dieses Beet haben wir neu angelegt. Vor einigen Tagen haben wir die Samen in die Erde getan. Es werden Blumen wachsen, große, weiße, mit starkem Duft, ähnlich wie die blauen dort an der Mauer. Die ersten Sprossen kommen schon. Seht Ihr sie? Und dort ist unser Brunnen. Schaut nur, wie tief er ist. Noch nie hat es uns an Wasser gefehlt.“ So führte dieser Sohn den Mann durch den Garten und zeigte ihm all seine Schönheiten. Begeistert berichtete der Mann dem Alten von allem, was er in diesem Garten gesehen hatte, und bedankte sich. Der Weise lächelte nur und fragte: „Habt Ihr nicht gemerkt, dass Ihr in ein und demselben Garten gewesen seid?“
Meine Lieben,
in dieser Geschichte steckt viel Wahrheit. Mir selber hilft mein Garten oft dabei abzuschalten, zu mir selber zu finden, die Dinge gelassener zu sehen, manche schiefe Sichtweise gelassen zu korrigieren. Ich bin immer wieder mitleidig angeschaut und belächelt worden, wenn ich meinen Urlaub gern und entspannt im eigenen Garten verbracht habe, statt im meist gar nicht prickelnden Urlaubsstress um die Welt zu fliegen. Aber mein Garten lehrt mich, das Wunder im Unscheinbaren, das Großartige im Kleinen, das Besondere im oft Übersehenen zu sehen. Er hilft mir, nicht immer nur das Negative im Blick zu haben, sondern die Schönheit am Rande meines Lebensweges. Und er lässt mich mitten im Leben auch spüren, dass das verlorene Paradies einst ein Garten gewesen sein muss, weil ich in jedem Garten Spuren davon erkennen kann. Diesem Wunder habt Ihr Euch im Gartenbauverein verschrieben. Ihr wollt den Menschen helfen, diese ganz tiefe Lebensqualität immer wieder zu entdecken und vielleicht sogar im Garten ein Stück Spiritualität mitten im alltäglichen Leben zu entdecken. Ihr entdeckt Spuren des Paradieses, Spuren Gottes in Euren Gärten und ihr wollt diese Spuren Gottes auch den Menschen von heute zeigen – und das nicht nur, wenn ihr alljährlich auch einen prächtigen Fronleichnamsaltar hier in Hart gestaltet. Ich wünsche es Euch, dass Eure Gärten Euch lehren, nicht immer nur das Schwierige und Unvollkommene, sondern vielmehr noch das Schöne und Wunderbare am Wegesrand zu sehen. Ich wünsche Euch, dass ihr in der Natur Eurer Gärten immer wieder Gott selber erspüren könnt, dass Eure Gärten zu geistlichen Orten für Euch und für viele Menschen werden. Und damit ihr nie vergesst, dass der Garten immer auch ein geistlicher Ort ist, hab ich Euch heute ein kleines Geschenk mitgebracht: Als ganz besonderer „Gartenzwerg“ soll auch der Pfarrer mit seiner Sammelbüchse – für das Pfarrheim und für unsere Kirchenorgel –, die ihr ja schon bei Eurer Maiandacht so großherzig gefüllt habt, immer einen Platz in Eurer Mitte haben!
(Fotos: M. Wastl)